Gesellschaft 20. August 2024, von Felix Reich

Wegbereiterin der Reformation

Geschichte

Katharina von Zimmern übergab das Fraumünster mit all seinen Besitztümern an den Zürcher Rat. Die letzte Äbtissin bewahrte die Stadt damit vor gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Vielleicht handelte sie aus Überzeugung, vielleicht aus Pragmatismus. Über die Motive der Äbtissin Katharina von Zimmern, das Fraumünster mit all seinen Besitztümern der Stadt Zürich zu übergeben, lässt sich nur spekulieren.

Auf jeden Fall vermied sie mit dem Schritt eine Kraftprobe mit dem Rat, der die Reformation in geordnete Bahnen lenken wollte. Anders als in Ittingen, wo im Juni das Kloster von wütenden Bauern in Brand gesetzt wurde und dennoch katholisch blieb, wurde am 8. Dezember 1524 die Herrschaft der Äbtissin und Reichsfürstin über die Stadt Zürich ganz ohne Revolte mit einer mit der Regierung friedlich ausgehandelten Schlüsselübergabe beendet.

Beissende Kritik

Zweifellos stand Katharina von Zimmern stark unter Druck. Seit knapp zwei Jahren lebte sie als letzte adelige Chorfrau in der Abtei. Die Reformatoren mit ihrer beissenden Klosterkritik hatten die Kanzeln in den Kirchen der Stadt längst übernommen. Auch die Äbtissin selbst bot ihnen immer wieder in ihrem Fraumünster eine Bühne.   

1519 war Huldrych Zwingli von Einsiedeln nach Zürich gekommen. Er übersetzte und diskutierte zusammen mit seinen Mitstreitern die biblischen Texte öffentlich. Und religiöse Vorschriften, für die er in der Bibel keine Begründung fand, warf er über Bord. Der Reformator aus dem Toggenburg legte sich mit dem Papst in Rom an, indem er an den Säulen der Kirchenlehre rüttelte.

Programm zum Jubiläum

Der Verein Katharina von Zimmern wurde vor 24 Jahren gegründet und wird von der früheren Kirchenrätin Jeanne Pestalozzi präsidiert. Als wichtige Wegmarke gilt der 14. März 2004. Damals wurde der Erinnerungsort an Katharina von Zimmern im Kreuzgang zwischen dem Fraumünster und dem Stadthaus eingeweiht.

Mit einem vielseitigen Jubiläumsprogramm wird der Übergabe des Fraumünsters an die Stadt Zürich gedacht. Dazu zählt eine Kunstinstallation, die der Kirche ihren zweiten Turm, den sie ursprünglich hatte, ab Sommer für vier Monate zurückgibt und an die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Präsenz von Frauen in Zürich erinnert. Den Ideenwettbewerb gewann Debora Burri-Marci.

Was in Zürich und weit darüber hinaus tobte, war viel mehr als ein theologischer Streit. Es ging ums Ganze. Seit Zwingli davon predigte, dass alle Gläubigen gleichberechtigt seien und keine Kirche bräuchten, die ihnen den Weg zu Gott weise, und eine Gruppe rund um den Buchdrucker Christoph Froschauer während der Fastenzeit ein bewusst provokatives Wurstessen inszeniert hatte, stapelten sich die Beschwerdebriefe in den Amtsstuben der Ratsherren. Ein öffentliches Streitgespräch sollte das zähe Ringen um die theologische Deutungshoheit entscheiden.

Das grosse Streitgespräch

Am 29. Januar 1523 drängten sich 600 Personen im Zürcher Rathaus, darunter 200 Räte, welche die Stadt regierten. Unter der Vorsitz des Bürgermeisters Markus Röist sollte Reformator Zwingli seine Thesen gegen Kritiker verteidigen. Allerdings hatte die von Vikar Johannes Faber angeführte Delegation, die der Bischof von Konstanz entsandt hatte, den Auftrag, sich nicht in theologische Diskussionen verwickeln zu lassen, sondern lediglich gegen die Veranstaltung zu protestieren.  

Zwar erklärte der Rat Zwingli in dessen Heimspiel zum Sieger und verbot unter Strafandrohung, ihn als Ketzer zu bezeichnen. Doch der Richtungsstreit zwischen Altgläubigen und Reformierten wurde weiterhin erbittert ausgefochten. Der Rat musste immer wieder befürchten, dass die Reformation in eine Revolution kippen könnte. 

Das theologisch begründete Bilderverbot und die Kritik an der Heiligenverehrung der Reformatoren mündete in der Wut über den Luxus in den Kirchen und einen falschen Kult. Davon blieb auch das Fraumünster nicht verschont. Katharina von Zimmern musste die Lampen vor dem Predigtstuhl ersetzen lassen, weil Randalierer in die Kirche eingedrungen und die kostbaren Stücke unter die Kanzel geschmissen und zerstört hatten.   

Zwar stellte der Rat den unkoordinierten Bildersturm genauso unter Strafe wie die Verweigerung des Zehnten. Doch der Hass vieler Menschen auf die Klöster, die sie mitverantwortlich machten für das eigene Elend, war offensichtlich.

Gefängnis und Schutzraum

Für Zwingli waren die Klöster Gewissensgefängnisse, deren Bestehen «keine Grundlage haben im göttlichen Wort». Er kritisierte insbesondere die Vermischung kirchlicher und politischer Interessen.  Um seinen Einfluss abzusichern, erlaube der Papst den Fürsten, ihre Söhne als Abt oder Bischof zu installieren, um die «grossen sicheren Geldquellen» abzugreifen. 

Die tatsächliche Aufgabe der Orden, «dass man lerne, mit dem göttlichen Wort umzugehen, um die Welt recht lehren zu können», gerate durch politische Deals in Vergessenheit. Deshalb komme es zum Sittenzerfall: «Im einen Kloster frassen sie, im anderen hurten sie ohne Scham.»

Katharina von Zimmern wurde 1478 in eine Adelsfamilie hineingeboren. Allerdings fiel ihr Vater in Ungnade, als sie zehn Jahre alt war. Von Messkirch in Süddeutschland kam sie als Flüchtlingskind nach Weesen am Walensee. Dem Vater gelang es, sie zusammen mit ihrer Schwester im Fraumünster unterzubringen, das adeligen Chorfrauen vorbehalten war. 1496 wurde Katharina zur Äbtissin gewählt.  

Das Kloster war für Frauen ein Schutzraum. Sie mussten nicht heiraten, hatten Zugang zur Bildung. Doch in Sicherheit waren sie nicht. 1497 etwa drangen zwei Männer ins Kloster Selnau ein und misshandelten die Äbtissin derart, dass sie ihren Verletzungen erlag. 

Der goldene Fallschirm

Katharina von Zimmern beschäftigte sich intensiv mit dem Humanismus. Sie liess die Abtei ausbauen, als Unternehmerin siegelte sie die Geschäfte der Abtei. Das Fraumünster verfügte über Höfe in rund 30 Dörfern, hinzu kamen Häuser in der Stadt Zürich sowie Mühlen an der Limmat und an der Sihl.   

Nach der Übernahme musste die Stadt Zürich eine eigene Verwaltung aufbauen. Deshalb wurde vorerst nur ein neues Fraumünsteramt geschaffen, ausser der Verpackung änderte sich kaum etwas.   

Die Güter des Klosters wurden zu einer wichtigen Geldquelle. Der Rat deckte Sozialausgaben und finanzierte das Schulwesen. Die Einnahmen flossen aber auch in Herrschaftsrechte und Kriegsanleihen. Die Stadt konnte frei über das Vermögen verfügen. Katharina von Zimmern hatte die Übergabe an keine Bedingungen geknüpft. Der Rat gestand ihr freie Verfügungsgewalt über ihr Vermögen zu und zahlte ihr eine lebenslange Pension aus.

Frühe Verklärung

Heinrich Bullinger schrieb rund 50 Jahre später, die Äbtissin habe das Kloster mit der Auflage der Stadt übergeben, dass die Einkünfte zur Linderung der Armut verwendet werden sollen. Dafür liefert die Übergabeurkunde keine Indizien. Vielmehr verzichtete Katharina auf reformatorische Klosterkritik.   

Stattdessen inszenierte sie sich als handelnde Person, die ihre Abtei aus freien Stücken verlässt. Doch ihr Handlungsspielraum war angesichts der aufgeheizten Stimmung vermutlich eng begrenzt. Sicher ist jedoch, dass die geordnete Übergabe der Abtei und ihrer Besitztümer ein Blutvergiessen verhinderte.  

Dass Zwinglis Nachfolger Bullinger behauptete, Katharina habe ihr Stift für einen guten Zweck der Stadt übergeben, zeigt, dass die Äbtissin früh zur Projektionsfläche wurde. Auch Zwingli selbst hatte ihr eine Schrift gewidmet und sie «zur Partei Christi» gezählt.

Projektion und Spekulation

Wo sich Katharina von Zimmern in einer Zeit, in der die theologischen Debatten unversöhnlich geführt und die Religion das soziale Leben bestimmte, tatsächlich positioniert, ist schwierig zu sagen. Schriftliches ist von ihr nicht überliefert. Vieles deutet darauf hin, dass sie bereits während ihrer Zeit im Kloster eine Tochter zur Welt brachte, die Geburt aber geheim halten konnte.   

Nach dem Ende des Klosters heiratete Katharina den Söldnerführer Eberhard von Reischach, der im Oktober 1531 in der Schlacht von Kappel fiel. Im Gegensatz zu Mönchen, die ein Handwerk erlernen oder eine Pfarrstelle übernehmen konnten, blieb den Frauen nur die Heirat oder die Rückkehr zur Familie. 

Widersprüche und Leerstellen

Gerade weil Katharina von Zimmern oft als Projektionsfläche diente und vereinnahmt wurde, lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihr als eine schillernde Figur 500 Jahre nach der Übergabe des Fraumünsters. 

Sie war eine gebildete Humanistin und versierte Bauherrin, eine beharrliche Verhandlerin in eigener Sache und weitsichtige Diplomatin, die dem Frieden diente und danach einen Söldnerführer heiratete. Möglicherweise kommt ihr und ohnehin der Geschichte am nächsten, wer all die Widersprüche und Leerstellen aushält.

Irene Gysel: Katharina von Zimmern. Flüchtlingskind, Äbtissin, Bürgerin von Zürich. TVZ-Verlag, 2024, 242 Seiten