Eine Jurte, Kerzenlicht, ein Schamane – ein Film aus der Mongolei könnte nicht typischer beginnen. Doch das Gefühl von «kennen wir» verschwindet rasch. Der Schamane, der eben noch mit tiefer Stimme dem alten Mann mitteilt, dass sein Tod nicht so nahe ist wie dieser denkt, erwacht aus der Trance und zieht seine Fransenmaske aus. Zum Vorschein kommt eine Figur, die so gar nicht schamanisch wirkt: ein schüchterner, schlaksiger Teenager mit moderner Kurzhaarfrisur. In der nächsten Szene sitzt er in seiner Schuluniform im Klassenzimmer, während hinter ihm Klassenkameraden kichernd einen Pornofilm auf einem Handy schauen.
«City of Wind» ist das Erstlingswerk der Filmemacherin Lkhagvadulam Purev-Ochir, und man spürt sofort: Die 35-Jährige beherrscht die Kunst des sensiblen Geschichtenerzähles einwandfrei. Der Film, der am Filmfestival Venedig 2023 Premiere feierte, ist ein berührendes Coming of Age eines jungen Mannes, der versucht, seine spirituelle Verantwortung daheim im Dorf mit seinem Alltag als Teenager in der Hauptstadt Ulaanbaatar zu vereinbaren. Hauptdarsteller Tergel Bold-Erdene spielte den 17-Jährigen Ze so überzeugend, dass er den Orizzonti-Preis für die beste männliche Hauptrolle gewann.