Es ist früher Vormittag. Die Sonne brennt auf den Parkplatz von Astha Guitars. Im Stadtteil Mylasandra, im Süden Bangalores, fräsen, hobeln, schneiden und lasern die Angestellten in der Werkstatt. Drinnen ist es angenehm kühl.
«Die Räume müssen immer dieselbe Luftfeuchtigkeit haben», sagt Moses Sihariya, «wenn es zu feucht ist, verformen sich die Holzteile später.» Ein Entfeuchter hält die Luftfeuchtigkeit auch im Monsun bei 40 Prozent.
Astha Guitars exportiert global, auch in andere Klimazonen. Deshalb können bei allen Instrumenten die Halswinkel mit einem kleinen Inbusschlüssel individuell eingestellt werden. Damit justiert man direkt die Saitenlage bei krassen Feuchtigkeitsschwankungen. «Das macht das Instrument extrem klimaresistent», sagt Sihariya. Ein System, das der in Lavin lebende Lukas Brunner für Astha Guitars entworfen hat.
Im Waisenhaus
Von Brunner, dem Gründer des unter Profi- und Amateurmusikern bekannten Labels Brunner Guitars, hat Sihariya sein Handwerk gelernt. «Ich hatte gerade das Bibelcollege abgeschlossen und als Betreuer im Waisenhaus in Mumbai, wo ich aufgewachsen bin, gearbeitet. Von Gitarren hatte ich keine Ahnung», erzählt Sihariya.
Über einen gemeinsamen Freund, der im Waisenhaus als Betreuer gearbeitet hatte, erfuhr Sihariya zum ersten Mal von Brunner und seiner Gitarrenwerkstatt, die er in Bangalore plante. «Das interessierte mich sehr.» Das war vor elf Jahren. Heute ist er der Geschäftsführer der Manufaktur in Bangalore.
Steigende Nachfrage
Eine kleine Wendeltreppe führt ausserhalb des Gebäudes einen Stock höher zum Showroom, dem «Herzstück» von Astha Guitars. Stolz zeigt Moses Sihariya die an der Wand hängenden versandbereiten Instrumente, eines prächtiger als das andere. Ein Mitarbeiter bringt indischen Tee und setzt sich zu den Gästen. Seit zwei Jahren arbeitet er im Gitarrenbau. Sein Handwerk hat er wie alle anderen des Teams während Brunners jährlichen mehrwöchigen Besuchen in Bangalore gelernt. Schulabschluss hat er keinen.
Andere im Team haben einen Studienabschluss. «Jeder kann bei uns einsteigen. Voraussetzung ist Lern- und Arbeitswille», so Sihariya, der inzwischen eine Warteliste führt. Leider fehle die Infrastruktur für eine grössere Produktion und mehr Personal. «Aber wir sind jung und investieren nun mehr ins Marketing.»
Alles Unikate
Jede der knapp 30 Jazz-, Bass-, Akustik- oder Elektrogitarren ist handgefertigt und nach Kundenwunsch individuell verziert mit Initialen, Tier- oder Fantasiemotiven aus Holz, Abalone (Muschelart) und weissem Perlmutt. «Ein Kunde arbeitet bei der Nasa und wünschte sich Planeten auf dem Griffbrett», erzählt Sihariya. Das indische Preisschild: 3000 Dollar.
Zehn Gitarren produziert das Team in zwei Monaten, die Nachfrage steigt nun wieder, nachdem die Corona-Pandemie die Produktion fast zum Erliegen gebracht habe. «Das stimmt uns zuversichtlich», sagt Sihariya.
Handwerk macht Sinn
Dafür steht auch Astha Guitars. Astha, ein Begriff aus dem Sanskrit, bedeutet Hoffnung oder Zuversicht. Dies ist auch der Motor des umtriebigen Tüftlers und Abenteurers Lukas Brunner: Er möchte Perspektiven schaffen, Hoffnung stärken.Sein Fundament ist der Glaube.
Brunner ist Mitglied der Fackelträger, einer internationalen interkonfessionellen christlichen Bewegung, die ein englischer Evangelist nach dem Zweiten Weltkrieg gründete – beseelt vom Gedanken der Versöhnung zwischen Engländern und Deutschen.
Die Bewegung hat sich weltweit verbreitet. Auch in Kanada, wo Brunner am Capernwray Harbour Bible Center einen in Kanada aufgewachsenen Inder kennenlernte. Der brachte ihn schon bald in Kontakt mit der christlichen Organisation ACTS (Agriculture, Crafts, Trades and Studies). Gründer von ACTS war der populäre indische Musiker Ken Gnanakan, dessen Sohn und Nachfolger Santosh ebenfalls von einer Gitarrenwerkstatt träumte. Für Brunner war «sofort eine Verbindung da».
Alte Idee neu umgesetzt
Der Kontakt mit ACTS habe ihm den Weg geebnet, einen langjährigen Wunsch umzusetzen: sein Handwerk mit tieferem Sinn zu verbinden und neue Perspektiven zu schaffen. Für andere Menschen und auch für sich selbst. Der gebürtige Zürcher verlor früh seine Mutter. Nach «rebellischen Jugendjahren» fand er zum Glauben.
Gitarren reparierte er schon als Teenager. Später lernte er, wie sein Vater, Möbelschreiner. Und mit 20 hatte er bereits eine eigene Möbel- und Gitarrenwerkstatt. «Das Abenteuer und das Unterwegssein, das ist es, was ich mit der Gitarre verbinde.» Zusammen mit seiner Frau Eva tourte er auf einem Tandem durch Neuseeland, Australien und Kanada.
Sein steter Begleiter: der Koffer und darin seine selbst gebaute Akustikgitarre mit abnehmbarem Hals. Heute steht der «Prototyp» als Erinnerung an die Anfänge von Brunner Guitars vor 30 Jahren im Showroom seiner Werkstatt in Lavin, wo der dreifache Familienvater seit 25 Jahren lebt.
«Die Idee des abnehmbaren Gitarrenhalses ist alt», so Brunner. Doch deren Umsetzung, dass man dem Instrument davon nichts ansieht und die Saiten mit nur einem Handgriff vom Steg abmontierbar sind, ist einzigartig. «Man kann sogar verschiedene Hälse ansetzen, ohne nachstimmen zu müssen, und die Gitarre ist in einer halben Minute wieder spielbereit.»
Engadin-Indien retour
Ein- bis zweimal jährlich reist der Tüftler nach Indien, verfolgt die Produktion, gewinnt neue Inspiration. Seit Kurzem bietet er «Build It Yourself Experience» an: individuelle Gitarrenbaukurse, inklusive der Übernachtung in seinem Haus, in dem er Kreativ-Workshops anbietet und einen Bike-Shop führt, stets verbunden mit einem geistigen Austausch. Der Name seines Hauses: Chasa Perspectiva.