Der Gottesdienst der Verbundenheit

Feiern

Vor 20 Jahren lancierte Andy Wahlen in Oberentfelden mit «11 vor 11» ein Gottesdienstformat, das von Anfang an viele Menschen anzog. Ein Jubiläumsbesuch.

Die Stimmung in der reformierten Kirche Oberentfelden ist feierlich an diesem Sonntagmorgen im Mai. Die langen Tischreihen im Kirchgemeindesaal sind für das Mittagessen gedeckt, kleine Vasen mit frischen Blumen und Kerzen stehen zwischen den roten Tischsets. In der Kirche sind pastellfarbene Luftballons an den Bänken festgebunden, über der Kanzel schwebt eine goldene Halleluja-Girlande. 

Erwartungsfroh treten schon 20 Minuten vor dem Gottesdienst Dutzende Menschen allen Alters herein, man kennt sich, plaudert über die Bänke hinweg. Als um punkt 11 vor 11 Uhr von der Empore ein a cappella gesungenes «Halleluja» erklingt, blicken alle hinauf. Von oben eröffnen vier Frauen und ein Mann, Pfarrer Andy Wahlen, die Jubiläumsausgabe eines äusserst erfolgreichen Gottesdienstformats. 

Letzte Kirchenpflege mochte die «modernen» Ideen nicht

Fast auf den Tag 20 Jahre ist es her, als Wahlen in Oberentfelden zum ersten Mal seine Vorstellung eines lebendigen Gottesdiensts präsentierte. In seiner letzten Gemeinde Willisau hatte die Kirchenpflege Mühe mit seinen «modernen» Ideen und kürzte ihm die Anzahl entsprechender Gottesdienste, obwohl die Kirche stets voll war.

Doch der 40-Jährige gab sich damit nicht zufrieden und zog weiter nach Oberentfelden, wo man offen war für Feiern mit moderner Musik, Theater, Kinderprogramm und gemeinsamem Mittagessen, zu einer Tageszeit, die auch für Menschen zwischen 20 und 55 attraktiv ist. So entstand eine Tradition, die bereits beim ersten Mal so viele Leute anzog, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten, und die zahlreiche Kirchgemeinden übernommen haben. 

Kirche muss Gemeinschaft stiften. Darum soll sie viele Menschen einbinden.
Andy Wahlen, Pfarrer in Oberentfelden

Der «11 vor 11»-Gottesdienst hat heute zwar etwas weniger Besucher, doch immer noch deutlich mehr als der konventionelle Sonntagmorgengottesdienst. Nach ihrer Begrüssung vom Bistrotisch aus lädt die Moderatorin alle ein, nach vorn zu kommen und ein schönes Erlebnis zu erzählen. Vier machen mit, darunter Andy Wahlen selbst, alle bekommen ein Schöggeli und Applaus. Rascher und unkomplizierter lässt sich die Seele nicht aufwärmen. 

Das Gefühl, dass hier bewusst die Verbindung zur Gemeinde gepflegt wird, bleibt bis zum Schluss bestehen. Abwechselnd links und rechts lesen die Kirchgänger Psalmen. Das Theater, die Moderation, die Musik und das Kinderprogramm werden von Freiwilligen gestaltet.

Geselligkeit und Genuss

«Kirche muss Gemeinschaft stiften», sagt Andy Wahlen später, nachdem er Anzug und Krawatte gegen Jeans und T-Shirt getauscht hat und in der langen Reihe am Pastabuffet steht. «Darum soll sie viele Menschen einbinden.» Und darum gibt es auch immer ein Mittagessen für alle. «Niemand soll unter Stress stehen, weil zu Hause gekocht werden muss.» 

Wie damals in Willisau kommen auch in Oberentfelden viele in den Gottesdienst, die nicht zur Ortsgemeinde gehören. Manche sind aus der Umgebung angereist, auch einige Katholiken sind dabei. 

Ich besuchte diesen Gottesdienst, und es zog mir grad den Ärmel rein.
Erhard Hauser, Freiwilliger

Oder sie gehören gar keiner Konfession an wie Erhard Hauser, der seit zehn Jahren im Kirchentheater spielt und mit Wahlen die Vater-Kind-Wochenenden leitet. Durch Letztere war er vor elf Jahren überhaupt zur Kirche gestossen. «Ich besuchte diesen Gottesdienst, und es zog mir grad den Ärmel rein.» Hier erlebe er die Kraft der Gemeinschaft. Jeder könne sein, wie er wolle. «So sollte Kirche sein.»