Drei kurze Wörter, die zu einer grossen Frage des Lebens führen: «mehr als genug». Das Motto der Schöpfungszeit 2025 hat es in sich. Ich selbst biss mir beim Schreiben dieses Artikels beinahe die Zähne daran aus. So viel Inspirierendes wollte ich in die vier Spalten packen, so viele Gedanken, Bibelstellen, Zitate und Beobachtungen unterbringen. Das Resultat war ein komplett überladener Text. Aus der Fülle war ein Zuviel geworden. Und zuletzt ein Nichts: Ich musste alles verwerfen und sass erneut vor einem leeren Bildschirm, den Abgabetermin im Nacken. Zweifel tauchten auf. Kann ich das überhaupt, bin ich gut genug?
Anhäufen und vergleichen
In solchen Momenten hilft ein Spaziergang. Er führte mich an Kornelkirschenbäumen vorbei, deren Zweige reich mit Früchten behangen waren. Sie erinnerten mich an mein Gespräch mit Mélanie Kern. Die Theologin verantwortet bei der Fachstelle Oeku Kirchen für die Umwelt die Kampagne zur Schöpfungszeit. Wir hatten über Fülle gesprochen, die in Überfluss kippen kann. Über eine Gesellschaft, die mehr produziert, als sie benötigt, was weder ihr selbst noch dem Planeten guttut und zu massiver sozialer Ungerechtigkeit führt. Kern sagte einen Satz, der mir jetzt einfiel: «Wenn wir Menschen das Bewusstsein entwickeln könnten, dass wir gut genug sind und genug haben, hätte das eine Entspannung und eine Grosszügigkeit zur Folge, die allen dienlich wäre.» Der Gedanke liess mich nicht mehr los. Häufen wir so viele Güter an, konsumieren wir so hemmungslos und vergleichen wir uns miteinander so unnachgiebig, weil wir tief in uns drin eine Leere spüren? Einen Mangel, den wir vergeblich zu kompensieren versuchen?
Das Markusevangelium erzählt die Geschichte vom reichen Mann (Mk 10,17–22). Er fragt Jesus, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erlangen. Die Gebote befolgte er seit seiner Jugend, lebte rechtschaffen – und suchte trotz Überfluss nach mehr. Jesus blickt ihn in Liebe an und sagt: «Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir!» Eine radikale Forderung! Sie zeigt: Der Weg zu Gott führt nicht über Leistung oder Besitz, sondern über das Loslassen. Eine Zumutung und zugleich eine Befreiung: Vor Gott müssen wir uns nicht beweisen. Jesus interessiert sich weder für unsere To-do-Listen noch für unsere tollen Reisen und auch nicht für die vielen Artikel, die wir geschrieben haben. Wir genügen, weil wir sind, als Wesen sind wir geliebt.
Das Vertrauen lernen
«Mehr als genug» lädt uns ein, neu zu vertrauen, dass wir genug sind. Dass genug da ist für alle, wenn wir teilen. Dass Schenken oder Verzichten nicht Verlust bedeutet, sondern Freude machen kann und die Verbundenheit mit unseren Mitmenschen fördert. Auf dem Heimweg von meinem Spaziergang begegnet mir Omar, mein syrischer Nachbar. Er kommt gerade von seinem Familiengarten zurück und transportiert mit seinem Velo seine üppige Ernte. Auf dem Gepäckträger festgezurrt ein Korb voller langer Gurken und Zuckermais, am Lenker baumelt eine Tasche mit grün glänzenden Peperoncini. «Alles 3000 Prozent Bio», versichert er stolz, während er mir mehrere Gurken und Peperoncini in den Arm legt. Ich bin überwältigt und gerührt. Und dankbar, an Omars Gartenfülle teilhaben zu dürfen.