Am Wendepunkt der Geschichte

Musik

Das Oratorium über Katharina von Zimmern erzählt von Aufbruch und Erneuerung an der Schwelle zur Reformation und klingt dabei erstaunlich aktuell.

So gut wie nichts ist überliefert von Katharina von Zimmern. Dennoch bleibt so viel von der letzten Äbtissin von Zürich. Das zeigt sich 500 Jahre nach der Übergabe des Fraumünsterstifts an die Stadt Zürich im Allgemeinen und an der Uraufführung des Oratoriums «Katharina» am 2. November im voll besetzten Fraumünster im Besonderen.

Schub für die Reformation

Helge Burggrabe liess sich vom historischen Ereignis, das der Zürcher Reformation entscheidenden Schub verlieh und blutige Auseinandersetzungen verhinderte, zum erstaunlich aktuellen Oratorium inspirieren. «Aufbruch und Erneuerung» weben den roten Faden.

Viel zur Aktualität des Oratoriums trägt Giannina Wedde mit ihrem Libretto bei. Die Texte verweben historische Fakten mit spirituellen Meditationen in einer schlichten und poetischen, sich kitschigem Pathos entziehenden Sprache. 

Ein wildes Tier

Helge Burggrabe und Giannina Wedde greifen auf biblische Texte zurück, zitieren Rainer Maria Rilke und Albert Schweitzer. Die Figur der letzten Äbtissin verkörpert die herausragende Schauspielerin Julia Jentsch. 

Zum Auftakt beschreibt sie den Nullpunkt der Reformation, an dem der Widerstreit der Ideen in offene Gewalt zu kippen droht, als Schwellenzeit, in der ein Tier herumgeht, das niemanden verschont: «Ich nenne es Furcht.»

Das wilde Tier ist nur allzu bekannt und hat die Geschichte überlebt. Es nistet sich mit Vorliebe ein in der Unsicherheit und im Gefühl, dass Gewissheiten brüchig werden und alte Ordnungen überholt scheinen. Es kann dazu verleiten, Barrikaden aufzubauen und in Spaltung und Gewalt Zuflucht zu suchen. 

Protest gegen die Gewalt

Das Oratorium beschreibt einen anderen Weg. Er führt über das Innehalten, das «Hineni», in das der Fraumünster-Chor und das Publikum gemeinsam eindrucksvoll einstimmen: «Hier bin ich» (Gen 22,11).

Der Ruf erinnert an Abraham, der bereit ist, seinen Sohn zu opfern. Ein Engel schlägt ihm im letzten Moment das Messer aus der Hand. Im «Hineni» kreuzen sich die Existenz des Menschen und die Präsenz Gottes. Es wird zur Absage an die Gewalt und zum Protest gegen den Tod unschuldiger Opfer. 

Im Licht der Hoffnung

Unter der Leitung von Fraumünsterkantor Jörg Ulrich Busch gelingt den Sängerinnen und Sängern, den Musikerinnen und Musikern und dem Chor eine wunderbare Aufführung. Das Oratorium beschreibt die Reformation als einen ständigen Prozess der Erneuerung und stellt ihn ins helle Licht der Hoffnung, ohne Schmerz und Angst zu leugnen.

Am Ende spricht Katharina vom Aufbruch in eine unbekannte Welt «über die Gräben und Schwellen hinweg». Die Zeilen hören sich an wie Widerworte gegen sich verhärtende Fronten, wie ein Gebet als Ringen um Zuversicht.