Ein Literatenleben voller Zerrissenheiten

Literatur

Das wilde Leben sei für die intellektuelle Jugend der Weimarer Republik eine Art säkulare Religion gewesen, schreibt Thomas Medicus in seiner Biografie über Klaus Mann.

Die Schule langweilte ihn, so schickten ihn die Eltern in Reformschulen, wo er tat, was er wollte: lesen und schreiben. Denn er arbeitete schon als Jugendlicher beharrlich an seinem Ziel, zu werden wie sein Vater, nämlich Autor, Intellektueller und, vor allem, berühmt. Berühmt wurde er denn auch, auf seine Weise und schon in frühen Jahren: Klaus Mann, Sohn des noch berühmteren deutschen Schriftstellers und Nobelpreisträgers Thomas Mann.

Die jüngst bei Rowohlt Berlin erschienene Biografie über Klaus Mann (1906 – 1948) aus der Feder von Thomas Medicus breitet nicht nur ein zeittypisches Künstlerleben aus. Das Werk ist zugleich das reichhaltige, spannend zu lesende Gemälde einer Epoche, die von Krisen geprägt war: dem Ersten Weltkrieg, den politischen Umwälzungen unmittelbar nach dem Krieg, der Inflation in Deutschland, den Wirren der Weimarer Republik, der Weltwirtschaftskrise und schliesslich der Barbarei des Dritten Reiches.

Auf nach Berlin

Klaus Mann sog den Geist von Kultur und Literatur gewissermassen mit der Muttermilch ein, sein prominentes Elternhaus war in der Szene vielfältig vernetzt, die berühmtesten Köpfe der damaligen Zeit gingen bei der Familie ein uns aus. Behütet in München aufgewachsen als Sohn verständnisvoller und nicht autoritärer Eltern, zog es den jungen Mann ins libertinistische Berlin und immer wieder nach Frankreich, insbesondere an die Côte d’Azur, wo sich auch andere junge Kulturschaffende tummelten.

Thomas Medicus lässt keinen Zweifel daran offen, welcher quälende Geist den jungen Klaus Mann umtrieb: der Geist einer Jugend, die keine Zukunft sah, auf die sie hätte hoffen können, und keine Vergangenheit, auf die sie hätte bauen können. Klaus Mann und seine Schwester Erika, mit der ihn ein inniges, beinahe inzestuöses Verhältnis verband, verkörperten diese Jugend in charakteristischer Weise. Er war der sensible Jungliterat, neurotisch, antibürgerlich, dandyhaft, seine femininen Seiten betonend, voll von Todessehnsucht, drogensüchtig, homosexuell mit kaum zählbaren, ständig wechselnden Partnern; sie die burschikose und selbstbewusste Schauspielerin, Kabarettistin und Journalistin vom Typ der sogenannten Garconne, emanzipiert, lesbisch beziehungsweise bisexuell, Rallyefahrerin und Trägerin der damals modischen, androgyn anmutenden Bubikopf-Frisur.

Sex and drugs

Geschichte wiederholt sich. Auch Kulturgeschichte. Die Zeit der Weimarer Republik, sprich die Zeit von 1919 bis 1933, war eine stark von der Jugend geprägte Ära, die erstaunliche Ähnlichkeiten mit den psychedelischen und rebellischen 1960er-Jahren aufweist. Schon in der Weimarer Republik gab es Aussteiger, gesellschaftskritische Rebellen, Reformpädagogen, entfesselten Hedonismus, sexuelle Befreiung und Drogenexzesse. Was die Hippies der späten 1960er in die Formel «sex, drugs and rock’n’roll» brachten, galt bereits in den 1020ern – damals einfach noch ohne Rock’n’Roll.

Die Verflechtungen im Freundeskreis der Mann-Geschwister waren vielfältig. Klaus Mann war verlobt mit der Dichtertochter Pamela Wedekind, die ihrerseits eine Liebhaberin seiner Schwester Erika war; diese wiederum machte ihrer Freundin und Abenteuergefährtin Annemarie Schwarzenbach (vergebliche) Avancen, während Klaus unter anderem ein Verhältnis mit Gustaf Gründgens hatte, just mit jenem Schauspieler, der eine Zeit lang Erikas Ehemann war.

Dieses Drunter-und-Drüber, dieses obsessive und exzessive Verführen und Verführtwerden, hatte durchaus System und gehörte zum Kult des Verworfenen, dem die damalige intellektuelle Jugend frönte. Das, was die bürgerliche Moral als unsittlichen, ja sündhaften Lebenswandel brandmarkte, galt der jungen Bohème als säkulare Religion der Befreiung. Eine Befreiung, die sich im dionysischen Rausch entfaltete und oft im Tod endete, nicht selten im Tod durch eigene Hand: Eros und Thanatos, Sex und Tod.

Das gefährliche Leben war das Elixier der Jugend. Es war eine Entscheidung für das böse Prinzip.
Thomas Medicus, Buchautor

Thomas Medicus schreibt es so: «Sozialisiert in einer Epoche grösster Unsicherheit, war für Klaus Mann und viele seiner Freunde und Weggenossen ein Leben, das nicht auf Messers Schneide zwischen Leben und Tod balancierte, nicht mehr vorstell-, ja nicht einmal mehr recht lebbar.» Der Hexensabbat und die Hyperinflation habe die progressiven jungen Intellektuellen in eine auf «Rausch und Ekstase verpflichtete Jeunesse dorée» verwandelt. «Die Erfahrung, dass selbstverständlichste Lebensgrundlagen verschwinden können, hatte sie gelehrt, mehr als alles die Gefahr zu lieben. Das gefährliche Leben war das Elixier der Jugend. Es war eine Entscheidung für das böse Prinzip.»

Bei allen Exzessen, die er liebte, lebte, genoss und durchlitt, war Klaus Mann keinesfalls ein arbeitsscheuer Tagedieb. Er schrieb und schrieb, arbeitete besessen an Theaterstücken, Essays, Reportagen, Romanen. Er war ein Workaholic im wahrsten Sinn des Wortes: Das Schreiben war ihm ebenso Droge wie Haschisch, Kokain, Opium, Morphium und Heroin.

Die Bekanntheit, nach der er sich so sehr sehnte, sollte auch nicht ausbleiben. Kaum volljährig, wurden Klaus und Erika auf einer USA-Reise von der Presse bereits als die literarischen Mann-Zwillige gefeiert – obwohl sie nicht Zwillinge waren.

Abrechnung mit ehemaligem Freund

Mit dem Roman «Alexander» gelang Klaus ein schwärmerischer, rauschhafter erster Wurf, und mit «Mephisto» schrieb er sich definitiv in den Kanon der deutschen Literatur ein. Diese Abrechnung mit seinem ehemaligen Freund Gustaf Gründgens und dem Nationalsozialismus handelt von Ruhmsucht, Opportunismus, Verführbarkeit durch die Macht und vom Pakt mit dem Bösen, das im Roman in der Gestalt des Nazi-Reichsmarschalls Hermann Göring auftritt. Das Werk entstand im Exil, in das Klaus Mann seinen Eltern nach dem Machtantritt der Nazis gefolgt war, und machte ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der deutschen Exillitaratur.

Klaus Manns schreiberisches Engagement gegen den Nationalsozialismus liess den jungen Wilden menschlich reifen, ebenso sein Eintritt in eine Nachrichteneinheit der US-Army, wo er es bis zum Stabsunteroffizier brachte. Die Zeit in der Armee scheint für Klaus Mann eine recht glückliche Zeit gewesen zu sein – anders als die anbrechende neue Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der er für sich keinen Platz mehr sah. Seine Depressionen nahmen zu, seine Todessehnsucht wurde zur ständigen Begleiterin. Am 21. Mai 1949 verstarb er in seinem geliebten Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten. Bis heute ist nicht geklärt, ob er die tödliche Tablettendosis in suizidaler Absicht oder aus routinemässiger Nachlässigkeit im Umgang mit Substanzen eingenommen hatte. Denkbar ist beides, und vielleicht war es sowohl das eine wie das andere.

Sprachlich brillant

Das Buch «Klaus Mann» von Thomas Medicus ist die Reise durch eine europäische Epoche des Niedergangs, in der zugleich vieles angelegt war, das sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg richtig entfalten und gesellschaftsprägend etablieren konnte, die liberale Demokratie, die Emanzipation der Frau und die Befreiung des Individuums aus gesellschaftlichen Zwängen. Zu den besonderen Vorzügen dieses Buches gehören zum einen die akribische Recherche und die leserfreundliche, sprachlich brillante Aufbereitung des Materials, zum andern auch die Empathie des Autors gegenüber seinem «Objekt», die unaufdringlich Regie führt und den Leser, die Leserin bei der Hand nimmt – bis zum Schluss.

Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben. Rowohlt Berlin, Mai 2024, rund 540 Seiten.

Thomas Medicus, 70

Thomas Medicus, 70

Er arbeitete als Kulturjournalist unter anderem bei der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» und der «Frankfurter Rundschau». Jahrelang war er auch für das Hamburger Institut für Sozialforschung tätig. Heute lebt Thomas Medicus als freier Publizist in Berlin. 2012 erschien aus seiner Feder eine Biografie über Melitta von Stauffenberg, deutsche Ingenieurin und Testpilotin während des Zweiten Weltkriegs. Die Lebensgeschichte von Klaus Mann ist sein neuestes Werk. (Foto: gezett)