Wie Mitfühlen gegen Online-Hass wirkt

Gesellschaft

Unter anderem warnt selbst der Bundesrat: Destruktive Äusserungen auf Online-Kanälen bedrohen die Demokratie. Dagegen wirken können alle – mit Empathie. Das zeigen Studien.

Sie sei eine «arbeitsscheue Schlampe», die «nach Italien zurückkehren» solle, hiess es in einer öffentlichen Nachricht auf einer Social-Media-Plattform an die Politikerin Tamara Funiciello. Andere Politikerinnen traten zurück, weil sie online stark angegriffen wurden. Und gerade um Konflikte und Kriege wie im Nahen Osten oder in der Ukraine wird immer wieder Hassrede geäussert, «Hatespeech»: erniedrigende oder beleidigende Botschaften gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen, etwa eine geschlechtliche Identität, eine Ethnie, eine Religionsgemeinschaft.

Das sei gefährlich für die Demokratie, heisst es von mehreren Seiten in Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft – unter anderem in einem Bericht des Bundesrats Ende 2023. Hassrede könne die Gesellschaft destabilisieren. Und: «Menschen, die Hassrede publizieren, attackieren bestimmte Gruppen und wollen sie vom Diskurs ausschliessen», sagt Sophie Achermann. Sie ist Geschäftsführerin der 2023 gegründeten «Public Discourse Foundation», der Stifung für öffentlichen Diskurs. Zuvor war sie Geschäftsführerin der Frauen-Dachorganisation «Alliance F» und hat 2019 das Projekt stophatespeech.ch mitgegründet. 

Wichtig ist Gegenrede 

Diese Plattform hilft ganz praktisch dabei, wie alle online gegen Hassrede vorgehen können. Das Ganze ist wissenschaftlich untermauert. Neue Erkenntnisse von Forschenden der Uni Zürich und der ETH zeigen etwa: Mindestens zwei von den wirksamen Mitteln sind geradezu typisch christlich. So sei es wichtig, andere nicht einfach aus Unterhaltungen auszuschliessen, hält der Politologe Karsten Donnay in einem Online-Beitrag der Uni Zürich fest. Wirksam sei hingegen Gegenrede, «Counterspeech» – und zwar vor allem dann, wenn Empathie für die vom Hass betroffene Gruppe geäussert wird.

So reagieren Sie am besten auf Hassrede

Sich trauen: Das sei das Wichtigste bei der Gegenrede zu destruktiven Posts und Botschaften. Das heisst es auf der Website von stophatespeech.ch. Sie nennt ganz konkrete Tipps, wie reagiert werden kann, und zeigt, was wie wirkt. Empathie mit der angegriffenen Gruppe zu zeigen ist am effektivsten. Das ist unterschiedlich möglich: mit Verweisen auf die Erfahrungen der angegriffenen Gruppen, Hinweisen an die Userinnen und User, wie es ihnen gehen würde, wenn sie in der Situation der angegriffenen Gruppen wären, oder sie an ähnliche Situationen in ihrem eigenen Leben erinnern. Dabei geht es auch darum, Aussenstehenden zu demonstrieren, dass dieses Verhalten nicht akzeptiert wird.
 

Mögliche Sätze sind:

- Hast du dir schon mal überlegt, was es bedeutet, sein ganzes Zuhause zurücklassen zu müssen, weil man flüchten muss?

- Wie würde es dir wohl gehen, nur auf dein Aussehen reduziert zu werden? 

- Ihr Post ist für Jüdinnen und Juden sehr schmerzhaft…
 

Dann gebe es weitere Strategien, deren Wirksamkeit aber von der Wissenschaft bisher nicht belegt wurde. Das seien Fakten nennen, moralisieren, mit Humor reagieren, Hatespeech benennen, warnen vor Konsequenzen offline oder das Aufdecken von Widersprüchen.

Weitere Informationen: stophatespeech.ch

Sophie Achermann weist im Gespräch ebenfalls auf die Erkenntnisse mehrerer Studien in den letzten Jahren hin. Gegenrede wirke vorab mit den richtigen Worten (s. Infotext). Zwar geschehe es nicht häufig, dass Hatespeech-Verfassende ihre Nachrichten löschen – insbesondere auch nicht, weil manchmal «Trolle» dahinterstecken, die im Auftrag von Organisationen oder Institutionen wirken. Doch Gegenrede könne auch bei Mitlesenden etwas Positives bewirken.

Die «Public Discourse»-Geschäftsführerin nennt noch ein Resultat der Studien: Für über 80 Prozent von Hatespeech seien nur etwa fünf Prozent aller Verfassenden von Nachrichten verantwortlich – eine Mehrheit davon Männer. Und da allen mit Gegenrede Hassrede nicht verschwinden wird, fordert sie von der Wissenschaft unterstützt auch Regulierungen. 

Gesetz bald in der Vernehmlassung

Sie begrüsst, dass ein Gesetz dazu bald in die Vernehmlassung gehen soll. «Die Vorlage gleicht dem «Digital Service Act» der EU und ist eine sehr wichtige Regulierung», sagt Sophie Achermann. Diese Regeln verpflichten Online-Anbieter zu Transparenz und Moderation – je grösser die Reichweite, desto mehr Pflichten hat der Anbieter zu erfüllen.

Weiter ist gemäss Achermann Prävention und Sensibilisierung zentral. Das Problem dabei: «Dafür gibt es zu wenig Geld und zu wenig Projekte.» Tatsache ist schliesslich, dass scheinbar niemand direkt wirtschaftlich davon profitiert. Hier müsste deshalb investiert werden, sagt die Fachfrau. «Sensibilisierung etwa mit Diskussionen in Schulen ist wichtig, weil keine Gruppe begegnet Hass online so häufig wie junge Menschen.» Doch auch Erwachsene trügen Verantwortung.

Kirche in Deutschland: «Wir. Reden. Hier.»

Vor allem offline funktionieren soll eine Initiative zum Austausch unterschiedlicher Standpunkte in Deutschland. «#VerständigungsOrte – Wir. Reden. Hier.» solle Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zusammenbringen, heisst es. Lanciert hat die Initiative die evangelische Zukunftswerkstatt midi zusammen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie Deutschland. Schliesslich zeige das Ergebnis der Europawahl erneut, wie gross die Polarisierungen in unserer Gesellschaft inzwischen geworden seien. 

Mit Aktionen wie dem «Tischgespräch» in Hannover, das zum Austausch auf Augenhöhe einlädt, dem «Bubble Crasher» in Sachsen-Anhalt und Thüringen und vielen weiteren Aktionen öffnen Gemeinden und diakonische Einrichtungen ihre Türen. Damit leisteten sie einen Beitrag zur Demokratiestärkung, heisst es in der Mitteilung. Und die Kirche trete so dem Eindruck einer zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung entgegen.

Schliesslich betont Sophie Achermann, dass alle Mitglieder der Gesellschaft aufgerufen sind, sich zu engagieren. Denn selbst mit maschinellem Lernen oder künstlicher Intelligenz sei Hassrede nicht einfach erkenn- und bekämpfbar, wie die Erfahrungen mit dem Dog Bot von stophatespeech.ch zeigten. Mit Hilfe dieses mit über 420'000 Online-Kommentaren trainierten Algorithmus soll Hatespeech gezielt aufgespürt und angegangen werden können. Er kann beispielsweise von Medien eingesetzt werden.

Doch ganz auf KI verlassen geht nicht; häufig sei es ein schmaler Grat zwischen Hassrede und Meinungsfreiheit, wo selbst maschinelles Lernen in den Feinheiten an Grenzen stosse, sagt Achermann: «Hassrede ist oft nur im Kontext erkennbar und verändert sich laufend. Auf das menschliche Urteil werden wir noch lange nicht verzichten können.»