Neue Kirchen für Chinas wachsendes Christentum

Ausland

Von der Schweiz aus plant der Architekt Dirk Moench Sakralbauten für Protestanten  in China. Die offiziellen Kirchen dort florieren, wenngleich der Einfluss des Staates zunimmt.

Sie wirkt wie eine rosafarbene Blüte, umgeben von traditionellen, einstöckigen Altstadthäusern, zweckmässigen grauen Bürotürmen und Einkaufszentren: die neue Huaxiang-Kirche der Hafenstadt Fuzhou im Südosten Chinas. Einen «Stadtbaustein» habe er kreieren wollen, sagt Dirk Moench. «Einen Ort zum Verweilen inmitten von Gewusel.» Moench ist Architekt und hat einen Traumjob an Land gezogen, den es in Europa gar nicht mehr gibt. Während hierzulande über Kirchenumnutzungen und -umbauten diskutiert wird, plant der Deutsch-Brasilianer mit seinem Büro Inuce bei Kreuzlingen neue Sakralgebäude für Tausende Gläubige.

In China realisierte er in den vergangenen zehn Jahren drei Kirchen, zwei weitere befinden sich im Bau. Er profitiert von einem Wachstum des Christentums, das in Europa medial kaum Beachtung findet. «Dabei handelt es sich um einen Boom, der seinesgleichen sucht», sagt der reformierte Pfarrer Tobias Brandner, der seit über 25 Jahren in Hongkong lebt, für Mission 21 tätig ist und an der Universität lehrt. 2018 gab es gemäss offiziellen Zahlen 36 Millionen Christen in China. Doch Beobachter gehen von höheren Zahlen aus. Brandner spricht von bis zu 100 Millionen, rund sieben Prozent der Bevölkerung.

Strengere Religionspolitik

Hierzulande waren es in letzter Zeit vorab Schlagzeilen über Kreuzverbote, die Verfolgung von Gemeindemitgliedern oder die Zerstörung von Gebäuden, die die Nachrichten beherrschten. Beobachter sind sich einig: Seit 2013, als Präsident Xi Jinping an die Macht kam, weht Religionsgemeinschaften ein rauerer Wind entgegen als unter dessen Vorgänger. Nicht anerkannte christliche Gemeinschaften werden nicht mehr toleriert, sondern aufgelöst, sie schrumpften seitdem von oftmals Tausenden Mitgliedern auf nur noch wenige Dutzend.

Anders verhält es sich mit offiziell anerkannten Kirchgemeinden der römisch-katholischen Kirche und der zwei miteinander verwobenen protestantischen Dachorganisationen Christenrat und Drei-Selbst-Bewegung. Ihre Gemeinden wachsen, das Gemeindeleben floriert.

Die Ausübung des Glaubens sei oftmals von einer starken Frömmigkeit geprägt, berichtet China-Expertin Isabel Friemann. Sie leitet in Hamburg im Auftrag evangelischer Kirchen die «China Infostelle» und pflegt Kontakte zu zahlreichen Gemeinden. «Im Zentrum stehen vor allem das persönliche Heil, Harmonie in der Familie und das Bemühen, ein gottgefälliges Leben zu führen.»

Eine wechselhafte Geschichte


In China sind spirituelle und religiö
se Rituale weit verbreitet, doch bekennt sich nur jeder zehnte Erwachsene  offiziell zu einer Religion. Erste Spuren des Christentums gehen bis auf  das 7. Jahrhundert zurück. Im 13. und 16. Jahrhundert kamen katholische Missionare, unter anderem Franziskaner, später Jesuiten nach China. Den Protestantismus brachte 1807 Robert Morrison von der London Missiona
ry Society ins Land. Es folgten weitere Missionare, auch die Basler Mission war ab 1847 in China tätig. Die Missiona
re gründeten Spitäler und Schulen und setzten sich für die Bildung von  Mädchen ein. Dennoch blieb das Christentum eine Randerscheinung, es  wurde als westlicher Import der Kolonialmächte oft kritisch betrachtet. 1950 gründeten chinesische Protestanten die Drei-Selbst-Bewegung, doch während der Kulturrevolution unter Mao waren alle Religionen verboten. Eine Legalisierung erfolgte erst in den 70er-Jahren, seitdem wächst  in China die Zahl der Christen rasant.

Doch auch die anerkannten Gemeinden müssen seit einigen Jahren eine gewisse Regimetreue an den Tag legen. Im Alltag sei dies meist nicht spürbar, sind sich Friemann und Brandner einig, eher in der Gemeindeleitung. Manche Verantwortliche posteten in vorauseilendem Gehorsam Selfies mit dem Partei-Banner in sozialen Medien, so Brandner. Friemann berichtet von Fahnen, die in Kirchenräumen platziert werden sollen. In einem religionspolitischen Strategiepapier der Regierung von 2019 ist von einem aktiv geleiteten Anpassungsprozess der Religionen an die sozialistische Gesellschaft die Rede. Ziel ist eine Sinisierung, Religionen sollen als etwas Urchinesisches empfunden werden. «Ein langfristiges Projekt von historischen Ausmassen», so ein Behördenvertreter.

Die nationale Linie lässt Raum für Interpretation. Viele Regeln werden regional unterschiedlich umgesetzt. Obwohl Kindergottesdienst verboten ist, findet er laut Friemann hier und da doch statt. Auch bei Kirchenneubauten ist die Zusammenarbeit zwischen Kirchgemeinden und lokalen Behörden entscheidend, wenn es um Bewilligungen oder manchmal die Abgabe von Land zu günstigem Preis geht.

Dirk Moench baut seine Kirchen in der Provinz Fujian – für Kirchgemeinden der Drei-Selbst-Bewegung. Das Verhältnis zwischen lokalen Behörden und Gemeinden erlebt er als positiv, das Christentum werde dort geschätzt, sagt er, «auch wegen der Beiträge der amerikanischen sowie britischen Missionare, die im 19. Jahrhundert Spitäler, Mädchenschulen und auch Zeitschriften in der Region gründeten».

Das starke Wachstum der Kirchgemeinden und ihr lebendiger Alltag stellen entsprechende Ansprüche an die Architektur. Rund 10 000 Gläubige besuchen am Sonntag die Huaxiang-Kirche, die Gottesdienste finden in mehreren Sälen statt. Es brauche Bühnentechnik für die Chöre, einen umgestaltbaren Altarraum und Räume für Gruppen, die sich wochentags zum Bibelstudium treffen, sagt Moench. Damit Begegnungen trotz des begrenzten städtischen Raums unter freiem Himmel stattfinden können, dient das Dach als Amphitheater.

Traditionelle Elemente

Auch in der Architektur stellt sich die Frage nach der Sinisierung – mit Blick auf chinesische Elemente im Kirchenbau. Für das geschwungene Dach liess sich Moench von der Giebelform traditioneller Häuser inspirieren. Die Fassade liess er mit Kieseln aus Granit verputzen, dem gleichen Stein, aus dem auch die alte, zu klein gewordene Kirche der Gemeinde gebaut ist, die unmittelbar neben dem Neubau steht.

Der Schliff des Granits gibt dem Bau die besondere Farbe. Sie trägt wohl wesentlich zur Bekanntheit des Baus bei. Moenchs Frau, eine chinesische Christin, hat vom Gebäude Hunderte Videos in den sozialen Medien gefunden. Der Stadtbaustein ist zur Location für Selfies geworden. «Nicht nur von Christen», so Moench.