Vom Geben zum Nehmen – es regt sich Widerstand

Organspenden

Jeder Mensch soll grundsätzlich als Spender gelten. Das hat das Bundesparlament entschieden. Aus theologischer und ethischer Sicht gibt es dagegen einige Vorbehalte.

Wie bringen wir mehr Menschen zum Organspenden? Das beschäftigt die Politik seit Jahrzehnten. Die «erweiterte Widerspruchslösung» soll es jetzt richten. Doch so klar das Bundesparlament im September Ja zu diesem Gegenvorschlag zur Organspendeinitiative sagte, so klar ist die ablehnende Haltung im Umfeld von Kirchen und Ethik.

«Der Rat der EKS hat sich für die Erklärungslösung bei der Organspende ausgesprochen», sagt Frank Mathwig, Beauftragter für Theologie und Ethik bei der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz. Im Gegensatz zur Widerspruchslösung würde diese die Würde, Freiheits- und Integritätsrechte schützen. Und ein Punkt werde, so Math­wig, kaum diskutiert: «Kann ich als Empfänger mit einem Organ weiterleben wollen, von dem ich nicht weiss, ob es die verstorbene Person wirklich aus freien Stücken spenden wollte?»

Ein Paradigmenwechsel

Die Theologin und Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle plädiert ebenfalls gegen die Widerspruchslösung. Sie stört sich besonders am Prinzip: «Es geht um einen Paradigmenwechsel von der Würde des Menschen zu seinem Nutzen.» Damit nehme der Staat in Kauf, auch Menschen Organe zu entnehmen, die das eigentlich nicht wollten. «Diese Entwicklung zum instrumentellen Umgang mit dem Menschen als Mittel für andere Zwecke widerspricht der Menschenwürde.»

Diese Entwicklung zum instrumentellen Umgang mit dem Menschen als Mittel für andere Zwecke widerspricht der Menschenwürde.
Ruth Baumann-Hölzle, Theologin und Medizinethikerin

Baumann-Hölzle ist Mitglied des überparteilichen Referendumskomitees, das Mitte Oktober in Aktion trat. Das Komitee bringt vor, dass bei einer Widerspruchs­lösung al­le Menschen umfassend über ihre Mög­lichkeiten und eine Organentnahme informiert werden müss­ten. Doch: «Es ist völlig unrealistisch, dass dieses Ziel erreicht werden kann», heisst es auf der Website für das Referendum. Ferner müsse jeder Mensch frei sein, sich überhaupt damit zu beschäftigen, und Angehörige sollten nicht im Moment eines schweren Verlustes entscheiden müssen.

Für die Erklärungslösung

Ferner haben sich sowohl die Nationale Ethikkommission als auch die Evangelische Volkspartei (EVP) gegen die Widerspruchslösung ausgesprochen. Sie unterstützen ebenfalls die Erklärungsregelung. Mit dieser müssten alle Menschen regelmässig aufgefordert werden, sich mit dem Thema Organspenden auseinanderzusetzen und sich dazu zu äussern. Ohne explizit erfolgte und festgehaltene Zustimmung würden keine Organe entnommen.

Drei Modelle

Der Nationalrat will die erweiterte Widerspruchslösung bei Organspenden: Jede verstorbene Person ist automatisch Organspenderin, falls von ihr oder den Angehörigen kein Veto vorliegt. Noch gilt die erweiterte Zustimmungslösung: Für die Organentnahme braucht es hier ein Ja des Spenders oder der Familie. Und bei der Erklärungslösung müssen sich alle Menschen äussern, gelten aber nur bei einem expliziten Ja als Spender.

Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel wiederum hat im Parlament für die erweiterte Widerspruchslösung gestimmt, welche die Angehörigen einbezieht. Die Würde des Menschen werde gewahrt, sagt sie: «Es wird niemandem gegen seinen Willen ein Organ entnommen.» Und es sei jetzt schon so, dass es die Zustimmung der nächsten Angehörigen brauche, wenn keine Entscheidung der Person vorliege.

Zudem würde wohl kaum jemand auf ein überlebensnotwendiges Spenderorgan verzichten. «Moralisch verantwortliches Handeln würde somit auch bedingen, dass man selbst zu einer Organspende bereit ist.» Zudem fordert Humbel eine Patienten- oder Versichertenkarte, die auch die Spendebereitschaft klärt.

Wirkung unsicher

Vor 2007, als das nationale Transplantationsgesetz mit der Zustimmungslösung in Kraft trat, galten kantonale Regelungen, wobei einige Kantone das Zustimmungs- und  die meisten das Widerspruchsmodell kannten. Mit Blick auf die Hoffnung, dass die Wider­spruchslösung zu vermehrten Organspenden führen könnte, ergibt sich laut einem bundesrätlichen Bericht international kein eindeutiges Bild. Und: Der Ländervergleich zeige, «dass auch mit der erweiterten Zustimmungslösung eine hohe Spenderate erreicht werden kann».