Gesellschaft 04. Januar 2025, von Nicola Mohler

Wo die Kirche auch Gastgeberin ist

Diakonie

Kirchliche Gastroprojekte bieten Kulinarik, Soziales und Spiritualität. Sie sind aufwendig, bieten aber eine Chance, die Kirche näher an die Menschen zu bringen.

Früher genügte eine Kaffeemaschine, um das Kirchgemeindehaus in ein Bistro zu verwandeln. Doch das ist passé. Kirchliche Gastroprojekte sind nicht nur komplexer und aufwendiger geworden, sie zielen auch auf ein anderes Publikum: wohlwollend-distanzierte wie auch kirchenferne Menschen. 

Eines dieser Projekte ist das Alte Pfarrhaus in Muri. Seit 2021 bietet es neben einer Kaffeebar von Mittwoch bis Freitag auch einen Brunch am Sonntagmorgen sowie Co-Working-Arbeitsplätze. «Das ist ebenso Kirche, einfach bloss in einer anderen Form», resümiert Silvia Tapis ihre Zeit in Muri. Sie hat das Projekt mit aufgebaut und den Betrieb anschliessend drei Jahre geleitet. 

Kein Konsumzwang 

Café-Kirchen gehören zu neuen, zeitgemässen Formen und Ansätzen der Kirche, die es ermöglichen, mitten unter den Menschen zu sein. Der Fokus liegt auf dem persönlichen Austausch: auf dem Raum für Begegnung, Dialog und Glauben. Im Angebot finden die Gäste oft Speis und Trank, nachhaltige, faire regionale Produkte, sozialdiakonische Angebote, viel Gemeinschaftliches, Austausch und Begegnung. 

Zwang zum Konsum herrscht dabei keiner – sowohl auf der kulinarischen wie auch auf spiritueller Ebene. «Die Gäste kommen her-ein, können erst einmal sein und sich orientieren. Wenn sie zu mir an die Theke treten, weiss ich, sie möchten etwas von mir, egal ob einen Kaffee oder ein offenes Ohr», sagt Tapis. 

Zentral für die 42-jährige Bündnerin ist, dass sich Menschen hier willkommen fühlen. «Café-Kirchen sind Begegnungsorte, wo Leistung und Erwartungen keine Rolle spielen. Diese Orte sind in unserer Gesellschaft immer seltener. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Kirchen daran festhalten», sagt Tapis. 

Feiern in der Kirchenbeiz 

Solche Cafés bieten für Kirchen gerade in diesen Zeiten des Mitgliederschwunds eine Chance, kirchendistanzierte Menschen mit Kirche in Kontakt zu bringen. Silvia Tapis hat viele solche Beispiele während ihrer fünf Jahre in Muri erlebt: die ältere Frau etwa, die sich nie in ein klassisches Angebot der Kirche wagte, dafür aber regelmässig in die Café-Kirche kam. Das junge Paar, das sich nicht in der Kirche trauen lassen wollte, jedoch das Fest ihrer Liebe im Alten Pfarrhaus feierte. Oder die Familie, die den Weihnachtsabend im Pfarrhaus verbrachte, weil es sich in Gemeinschaft schöner feiern lässt als im kleinen Kreis zu Hause.

Von Dock 8 bis Perron 3

In Bern gibt es bereits verschiedene Projekte: So hat Dock 8 in der Siedlung Holliger vor drei Jahren eröffnet. Und seit November betreibt die Kirchgemeinde Vechigen den Begegnungsort Perron 3 am Bahnhof. Das jüngste Projekt ist die Wolke85 in Bümpliz: Hier entsteht ein Begegnungsort mit Beratung, Café sowie Veranstaltungen in neu renovierten Räumlichkeiten. 

Professionalität muss sein 

Ab dem kommenden März wird Silvia Tapis dort an vier Vormittagen Gastgeberin sein. Seit August arbeitet sie beim Aufbau dieses Projekts mit und bringt ihre Erfahrung aus Muri ein. Auch wenn sich das Publikum und die Ressourcen der beiden Gemeinden unterscheiden, bleibt Tapis’ Überzeugung dennoch dieselbe: «Gastfreundlichkeit gehört zur DNA der Kirche.» Das bedeute aber nicht, dass Kirche diesbezüglich keine Unterstützung brauche. Ganz im Gegenteil. «Wir müssen uns an Gastroprofis orientieren», sagt Tapis, die sich oft mit Gastronominnen und Gastronomen austauscht und selbst über ein Wirte-patent verfügt.

Ein Café zieht Menschen an, die sonst nicht an kirchlichen Aktivitäten teilnehmen würden.
Silvia Tapis, Gastronomin

Silvia Tapis ist überzeugt: Auch wenn Gastronomie in kirchlichem Umfeld nicht nach Gewinn strebe, seien die Projekte von Anfang an betriebswirtschaftlich zu denken. Zudem dürfe bei der Planung eine Bedarfsanalyse nicht fehlen: Welche Gastroangebote finden sich in der Umgebung bereits? Sind soziale Angebote von Quartiervereinen mögliche Partner, mit denen die Kirche zusammenarbeiten kann? 

Gross denken

Kirchliche Gastronomie garantiere nicht per se Erfolg, erklärt Marlise Graf von der reformierten Berner Landeskirche (Refbejuso). Aus ihrer Erfahrung als Projektmitarbeiterin bei «Kirche in Bewegung» weiss sie, dass solche Angebote zum Ort und zu den Leuten passen müssen und auch gross gedacht werden sollten: «Grosszügige Öffnungszeiten und ein gastliches Konzept für ein ganzes Haus ermöglichen es, diverse Zielgruppen anzusprechen.» So, wie es am Erfolgsmodell des Alten Pfarrhauses in Muri ersichtlich sei. Ressourcen seien dafür jedoch aufzuwenden, und eine Fokussierung müsse vorhanden sein. «Café-Kirche macht man nicht einfach so nebenbei», hält Graf fest. 

Zurück zu den Wurzeln 

Kritiker solcher Projekte finden, spirituelle Inhalte seien zu wenig sichtbar. Ebenso ist zu hören, dass kirchliche Mittel besser in klassische Formen der Kirche wie etwa Verkündigung oder Diakonie investiert werden sollten. «Gastfreundschaft und Begegnung sind Ausdruck des gelebten Evangeliums. Sie ergänzen altbewährte Formen und schaffen Räume, in denen andere Zugänge möglich werden», so Franziska Huber von Refbejuso. 

Für die Theologin sind kirchliche Gastroprojekte Ausdruck dafür, dass Kirche Räume schafft, in denen Gott bereits wirkt. «Sie sind nicht nur eine moderne Anpassung, sondern auch eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Evangeliums: Orte, wo Menschen sich treffen, mitteilen, stärken und das Heilige im Alltag entdecken.»