Wir leben nun seit zehn Jahren in Santa Maria Val Müstair. Das Dorf zählt knapp 300 Seelen, das gesamte Tal 1400. Unser Kantonshauptort Chur liegt, so der Pass offen ist, gut zwei Stunden entfernt.
Viel näher liegt Meran, die italienische Grenze ist nur fünf Minuten von uns entfernt. Aber sowohl Chur als auch Meran sehen uns nie. Wir haben vier kleine Kinder, und ausser zu Verwandtenbesuchen oder alle Jubeljahre einer Fahrt ans Meer bringen uns hier keine zehn Pferde weg.
Die Freiheit hinter dem Haus
Denn ja, die Kinder geniessen hier eine enorme Freiheit. Nicht vor der Haustür, dort nämlich verläuft die Kantonsstrasse. Seit einigen Jahren tobt halb Europa durch unser Tal, ganze Porsche-Korsos, Trupps alter Säcke auf schweren Motorrädern, klotzige Wohnmobile, deren Fahrer:innen angesichts der engen, nur einspurig befahrbaren Gasse der Schweiss aus allen Poren strömt. Und immer mehr Vierzigtönner.
Aber diese Strasse ist für unser Wohlbefinden nur ein Kratzer in einem sonst fast makellosen Körper. Denn hinten raus liegen unsere Gärten – ein Obsthain mit Äpfeln, Aprikosen, Birnen, Mirabellen, Zwetschgen sowie ein kleiner Gemüse- und Beerengarten mit einem Rhabarberstrauch, so wild und unerschöpflich wie ein Urwald –, abermals dahinter das weite Tal mit seinem Bächlein und seinen Feldern und zuletzt die Berge, Hort einer schier unfassbar belebten Natur.