Eine höfliche Bitte aus Süddeutschland

Sammeln

«reformiert.» hat sich vom Journalismus ab- und der farbenprächtigen Welt der Briefmarken zugewandt – für einen kurzen Moment jedenfalls. Und natürlich nicht ohne Grund.

Schnipp. Schnapp. Mit der Schere. Was schnippelt meine Redaktionskollegin Isabelle Berger da? Welche Bastelarbeit ist an ihrem Schreibtisch am Entstehen? 

Ein neugieriger Blick schafft Klarheit. Keine Bastelarbeit. «Bist du zur Briefmarkensammlerin geworden?», frage ich. Denn die Angesprochene schneidet Briefmarken aus Dutzenden von Postkarten heraus. Aus jenen Postkarten, mit denen uns knobelfreudige Leserinnen und Leser das Lösungswort zum letztjährigen November-Kreuzworträtsel in «reformiert.» zugesandt haben. 

«Nein, ich sammle nicht», lautet die Antwort. «Allerdings staune ich als Kunsthistorikerin einmal mehr über die Vielfalt und Ästhetik von Briefmarken.» Ich trete näher und staune mit. Neben Sujets neueren Datums sind auch solche auszumachen, die schon in meinen Kinderzeiten in Gebrauch waren: etwa der 10-Rappen-Eisvogel aus dem Jahr 1966 oder die von Hans Erni gestaltete Murmeltier-Marke von 1965. 

Sogar für das kirchenaffine Auge gibt es dies und das zu sehen: eine Weihnachtsmarke mit einem Motiv aus dem Berner Münster (2022) etwa oder ein Deckengemälde aus der Kirche Zillis (die Verkündigung an die Hirten, 1967). 

Anfrage auf gut Glück 

Was aber soll mit all dieser philatelistischen Pracht auf dem Arbeitstisch meiner Kollegin geschehen? Diese Marken, sagt sie, seien für einen Sammler bestimmt. Für einen Herrn, der auf gut Glück schriftlich bei der «reformiert.»-Redaktion angeklopft und nachgefragt hatte, ob es wohl möglich sei, dass wir ihm Briefmarken von unserer bestimmt regen Korrespondenz zukommen liessen, auf dass die kleinen Kunstwerke kein «dramatisches Ende im Papierkorb» nähmen.

Leider nehmen Briefmarken oft ein dramatisches Ende.
Bert Seemann, Briefmarkensammler

In der Tat können wir den Sammler bedienen. Ein Glück, dass Teile unserer Leserschaft offensichtlich über einen beachtlichen Fundus an Briefmarken älteren, neueren und neuesten Jahrgangs verfügen – und der brieflichen Zustellung wichtiger Nachrichten nach wie vor mehr vertrauen als der elektronischen Übermittlung. Und sich damit, bewusst oder unbewusst, um die Erhaltung und Verbreitung von Briefmarken verdient machen. 

Man soll Briefmarken nicht unterschätzen. Immerhin sind sie eine Art Kunstmuseum im Kleinen. Nicht zuletzt sind sie auch ein Katalysator für menschliche Kontakte: Gäbe es keine Briefmarken, hätte uns der Sammler aus Süddeutschland nie angefragt, wir hätten seine freundlichen Zeilen nie zu lesen bekommen und hätten nie Anlass gehabt, für einen kurzen, aber dennoch erkenntnisreichen Moment in die bunte Welt der Postwertzeichen einzutauchen. Schnipp, schnapp, schnipp, schnapp, schnipp, schnapp.