Glaube 27. Februar 2025, von Thomas Dummermuth

Im spirituellen Widerstand

Gastbeitrag

Mit eruptivem Aktivismus und demonstrativer Härte treibt der amerikanische Präsident Donald Trump die Menschen in Erschöpfung und Ohnmacht. Dagegen helfen klare Worte der Kirchen. 

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump weiss ich oft nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Mein Nachrichtenfeed wird täglich mit neuen Krisen geflutet: Deportationen, Handelskriege, wahnwitzige Gebietsansprüche. Ich komme dem Wahnsinn kaum hinterher.

In meiner Social-Media-Bubble herrscht Panik, ich lese verzweifelte Rufe nach Widerstand: «Somebody do something!» Gleichzeitig begegnen mir hämische Kommentare: «Cry more!»

Grausame Absichten

Was geschieht hier gerade? Auf einmal scheint vieles ins Rutschen zu geraten. Die Geschwindigkeit, mit der Unsagbares sagbar wird, erschüttert mich. Geflüchtete Menschen werden verunglimpft und demokratische Institutionen entwertet. Oligarchen schlachten den Staat aus. Die internationale Zusammenarbeit wird durch demonstrative Härte ersetzt – oft mit grausamen Absichten.  

Thomas Dummermuth

Der Pfarrer Thomas Dummermuth ist im Emmental aufgewachsen und hat in Bern, Freiburg und in Richmond im US-Bundesstaat Virginia Theologie studiert. Nach dem Studium war er reformierter Pfarrer im freiburgischen Cordast und Pfarrverweser in Büren a.A. Seit 2011 lebt er in den USA, zunächst im Bundesstaat West Virginia, seit 2013 in Nebraska. Heute arbeitet er als Pfarrer in der Eastridge Presbyterian Church in Lincoln. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Trotz alldem Chaos erhält Trump erstaunlich hohe Zustimmungswerte. Unter dem Motto «America First» betreibt er eine Politik der Ressentiments, militarisiert Grenzen, heizt Kulturkämpfe gegen Minderheiten an und friert Hilfsprogramme ein. Wenn die Pressesprecherin vor die Medien tritt, Hilfsbedürftige als Betrüger und Schmarotzer verunglimpft und unter Generalverdacht stellt, stösst mir besonders sauer auf, wie sie dabei ein gut sichtbares Kreuzkettchen um den Hals trägt. Hier spricht jemand im Namen eines christlichen Glaubens, den ich nicht mehr wiedererkenne.

Die grosse Erschöpfung

Zuletzt fühlte ich mich an den Beginn der Pandemie erinnert: Unsicherheit, sich ständig verändernde Parameter, angstgetriebene Informationsaufnahme. Doch damals entstand unglaubliche Energie: Wir arbeiteten wie besessen, entwckelten kreative Angebote, vernetzten uns. Zugleich führte der Krisenmodus zur Erschöpfung, ich hatte Angst, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein.

Widerstand fühlt sich oft wie ein Kampf gegen Windmühlen an. Laut der «Washington Post» haben sich viele Aktivisten der ersten Trump-Ära aus Protestbewegungen zurückgezogen. Das ist das Ziel autoritärer Regimes: Menschen überfordern, sie ohnmächtig machen, damit sie sich fügen.

Dauerkrisen beeinträchtigen das klare Denken. Aufmerksamkeit ist aber unser höchstes Gut. Deshalb ist Widerstand eine spirituelle Aufgabe: Es geht darum, wach zu bleiben, nicht zu verbittern, das Herz durchlässig zu halten für  die Bedürfnisse des Nächsten.

Von Christus erzählen

Die Worte von Bischöfin Mariann Budde in ihrer Predigt zum Amtsantritt Trumps berührten viele Menschen weit über Washington hinaus. Ihre Bitte an den Präsidenten um ein offenes Herz für Einwanderer, LGBTQ-Menschen und andere, die sich vor ihm fürchten, wurde weltweit geteilt. Für viele, die das Christentum nur als den lauten christlichen Nationalismus kannten, war die Predigt ein Moment gesunder Dissonanz: Eine andere Kirche, ein anderer Christus bekamen Raum. 

Und obwohl wir nicht kontrollieren, was Menschen tatsächlich hören, ist es wichtiger denn je, dass in den Kirchen klar und mutig die Gute Nachricht verkündet wird. Und eine gute Nachricht kann sie nur sein, wenn sie auch für die Armen, Gefangenen und Unterdrückten eine gute Nachricht ist.

Wir müssen von Jesus Christus sprechen, wie er sich in den Evangelien zeigt: vom Anwalt der Entmenschlichten, dem Kritiker ausbeuterischer Macht, einem Propheten der Gewaltlosigkeit, dem hingerichteten Verbrecher, der die unzerstörbare Liebe Gottes verkörpert. So versammeln wir uns um eine Vision des Reiches Gottes und suchen jenen Gott, der ein Herz für den Fremden, die Witwe, die Waise hat und dessen Liebe selbst den Feind umfasst.

Gegen den Zynismus

Um nicht im Hamsterrad der Sorgen zu laufen, suche ich seit der Wahl bewusster Zeit für das Gebet. Beten hilft mir, nicht hartherzig oder zynisch zu werden und mich nicht von Reaktivität gegenüber dem Feind treiben zu lassen. Die Gegenwart Gottes sät Mut und erneuert die Vorstellungskraft, bewirkt Gemeinschaft.

Widerstand und Resilienz gelingen nie allein, sondern nur in gegenseitiger Fürsorge. Jemand sagte kürzlich: «Die Waffen des Imperiums sind Isolation und Einschüchterung.» Der Ausruf «Warum tut niemand etwas?» entspringt dem ohnmächtigen Gefühl, dass das eigene Tun nicht genug ist, weil es nicht die eine grosse Sache ist. Doch es gibt nicht die eine grosse Sache. Es braucht all unsere kleinen Dinge.

Einander zugewandt bleiben

Was mir Hoffnung gibt: Jeden Herbst versammeln sich hier in Nebraska auf lokaler Ebene Menschen aus 24 Glaubensgemeinschaften. In den sorgfältig geleiteten Gruppengesprächen sprechen Christinnen und Christen über ihre Sorgen. Aus den geteilten Geschichten entstehen Themen. Wiederholen sich Themen, erkennen wir systemische Probleme. Dann organisieren wir uns, um als Gemeinschaft Veränderungen zu bewirken, auch über politische Gräben hinweg.

Immer wenn wir bewusst im Hier und Jetzt handeln und miteinander im Gespräch und einander zugewandt bleiben, erfahren wir Ermutigung. Nur so können wir aus der Überforderung herausfinden und das Steuer selbst in die Hand nehmen.