Gründe für die Wohnungsnot in Graubünden sind vielschichtig
Eine bezahlbare Wohnung im Kanton zu finden, wird schwieriger. Auch Kirchgemeinden besitzen Immobilien oder Land. Einige fördern damit günstigen Wohnraum für Einheimische
Immer mehr Haushalte im Kanton: Die Zahl der jüngeren Menschen sinkt, die der älteren Menschen steigt. Foto: Keystone

Im Kanton Graubünden herrscht Wohnungsknappheit, besonders in touristischen Regionen und Teilen des Berggebiets. Laut einer Studie aus dem Jahr 2023, die das kantonale Departement für Soziales und Volkswirtschaft in Auftrag gab, liegt der Bedarf an Erstwohnungen bei etwa 130 Wohnungen pro Jahr. Vor allem die demografische Alterung der Gesellschaft, steigende Beschäftigtenzahlen und die Nachfrage an Zweitwohnungen verschärfen die Lage.
Hoher Zweitwohnungsanteil
Aus der Studie geht hervor, dass die Wohnungsleerstände im Oberengadin bei unter einem Prozent liegen. Zu lesen steht dort auch, dass der Anteil an Zweitwohnungen etwa in der Gemeinde Sils im Engadin bei 70,7 Prozent liegt: «Die Knappheit an bezahlbarem Wohnraum ist bei uns ein Dauerzustand und ein grosses Problem», sagt die Oberengadiner SP-Grossrätin Franziska Preisig.
In Sils wurde an der letzten Gemeindeversammlung denn auch beschlossen, dass Erstwohnungen deshalb nicht mehr in Zweitwohnungen umgewandelt werden können. «Ein kleiner Erfolg», sagt Preisig. Eine solche Regelung wünschte sie sich allerdings flächendeckend.
Ein diakonischer Auftrag
Auch wirtschaftliche Akteure wie etwa Hoteliers haben zunehmend Mühe, ihr Personal unterzubringen. In Samedan ist daher das genossenschaftliche Wohnprojekt «Wohnen bis 25 Jahre» entstanden. Das hält preisgünstigen Wohnraum für junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr bereit, die eine Anstellung oder einen Ausbildungsplatz im Oberengadin haben. Auch die Kirchgemeinde Oberengadin (Refurmo) engagiert sich. Soeben hat sie Bauland im Baurecht zu «vertretbaren Konditionen» an eine Baugenossenschaft verkauft. In Samedan soll Wohnraum für Einheimische entstehen. «Die Kirchgemeinde zählt das zu ihrem diakonischen Auftrag», begründet diesen Schritt Lucian Schucan, Präsident von Refurmo
Gründe für Wohnungsknappheit untersucht
Die Förderung von preisgünstigem Wohnraum durch gemeinnützige Wohnbauträgerschaften sieht Jacques Michel Conrad vom Verband der gemeinnützigen Wohnbauträger WBG Schweiz als eine gute und erfolgreiche Möglichkeit, um zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beizutragen. Der Vorteil von Wohnbaugenossenschaften sei, dass die Liegenschaften lange halten, dadurch der Spekulation entzogen bleiben und zur Kostenmiete abgegeben werden können. «Das macht die Wohnungen über die Jahre im Vergleich zum herkömmlichen Markt günstiger», so Conrad. Neben dem Departement für Soziales und Volkswirtschaft hat auch das Wirtschaftsforum Graubünden untersucht, ob sich tatsächlich eine Wohnungsknappheit nachweisen lasse oder ob diese «in der Öffentlichkeit herbeigeredet wird». Die Analysen legen jedoch nahe, dass in den meisten Regionen Graubündens tatsächlich zu wenig Wohnraum besteht. Nebst der Alterung der Gesellschaft könnten die steigende Nachfrage nach Zweitwohnungen und dem damit verbundenen Verdrängungseffekt zu einem wachsenden Problem werden.
Pfarrhaus geht an Familie
Bezahlbaren Wohnraum für ortsansässige Menschen möchte auch die reformierte Kirchgemeinde von Feldis erhalten. Sie hat sich entschlossen, ihr Pfarrhaus im beliebten Ferienort an eine ansässige Familie zu verkaufen. Markus Mark vom Kirchenvorstand sagt: «Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Bergdörfer mit Familien zu bereichern.» Auch in der Kantonshauptstadt ist bezahlbarer Wohnraum nicht in genügendem Mass vorhanden. Die reformierte Kirchgemeinde Chur verfügt über rund 90 Wohnungen und vergibt diese ausschliesslich als Erstwohnungen, sagt Marco Müller vom Vorstand, verantwortlich für die Immobilien der Gemeinde. «Zwar betreiben wir keine Gewinnmaximierung, aber zu rein kostendeckenden Mieten können wir die Wohnungen auch nicht vergeben.» Die Immobilien seien in Zeiten schwindender Mitgliederzahlen auch eine immer wichtiger werdende Einnahmequelle für die Kirchgemeinde.
Neues Gesetz in Arbeit
In der nächsten Junisession des Graubündner Parlaments jedenfalls soll nun die Revision des Gesetzes über die Förderung von Wohnraum (GFW) beraten werden. Jacques Michel Conrad von WBG Schweiz begrüsst insbesondere die Massnahme zur Förderung gemeinnütziger Wohnbauträgerschaften für den Bau preisgünstiger Mietwohnungen. «Diese setzt am richtigen Ort an, ist präzise und stärkt den genossenschaftlichen Wohnungsbau im Kanton immens.»
Hoher Altersquotient
Mehr ältere Menschen und mehr Singles fordern in Zukunft einen höhe-ren Anteil an Kleinwohnungen. Und es fehlt an Personalwohnungen in Tourismusgebieten. Darüber hinaus hat Graubünden mit über 80 000 Zweitwohnungen einen relativ hohen Anteil an nicht primär genutztem Wohnraum. Das ist ein Zweitwohnungsanteil von 46,4 Prozent. Derzeit gibt es 31 Wohnbaugenossenschaften.