Ein Sommerlager der besonderen Art

Diakonie

Jugendliche aus Afghanistan, der Ukraine und der Schweiz arbeiten und lernen in der Cevi-Ferienanlage in Hasliberg. Dabei entstehen Freundschaften und Jobperspektiven.

«Wo sind die anderen?» Reto Bianchi runzelt die Stirn. Es ist 9.50 Uhr, alle sollten im grossen Saal versammelt sein für die Information zum heutigen Programm. 15 Jugendliche sitzen auf der Treppe, drei fehlen. Bianchi, Jugendarbeiter der Kirchgemeinde Aarau, seufzt mit einem Grinsen. «Teenager schlafen eben gern.» Eine junge Frau nickt. «Gestern haben wir schliesslich bei 34 Grad Hitze gearbeitet!» 

Ein Mittwoch im Juli. Der 58-jährige Bianchi führt zum achten Mal «Sozial im Sommer» durch, mit Beat Beutter, dem Leiter CVJM Hasliberg, einer Ferienanlage mit Hotel und Lagerunterkünften. Eine Woche lang packen Schweizer und geflüchtete Jugendliche gemeinsam mit an, treiben Sport, spielen, üben Deutsch. Kost und Logis sind gratis, dafür erledigen die Teilnehmenden Renovationsarbeiten in der Anlage, die 1964 von Cevi-Jugendlichen erbaut wurde, und pflegen die Gärten. 

«Musik, bitte!» 
Kurz nach zehn Uhr trudeln die drei Jugendlichen mit verschlafenen Gesichtern ein, das Programm startet. «Heute bilden wir neue Teams», sagt Beat Beutter. «So lernt ihr euch noch besser kennen.» Bald sind die Gruppen «Garten», «Küche streichen» und «Balkonlatten» gebildet und ziehen los. Noch sind alle schweigsam, nur Yahya ist munter. 

«Musik, bitte!», ruft der Gambier und schwingt rhythmisch seinen muskelbepackten Arm. Seit diesem Jahr zählt der 26-Jährige zum Leitungsteam, zum zweiten Mal ist er, der sich auch in anderen kirchlichen Projekten engagiert, mit von der Partie. Da er der Kräftigste ist, holt er die Farbkübel, mit denen sein Team die Balkonlatten frisch anstreicht, aus der Werkstatt.

Die Jugendlichen leisten in einer Woche enorm viel.
Beat Beutter, Leiter CVJM Hasliberg

Bald sind alle beschäftigt. Überall klingt Musik aus mobilen Lautsprechern, welche die Jugendlichen mitgebracht haben. Die Ukrainerinnen Bogdana und Daryna und der Afghane Hanif arbeiten zusammen mit der Jugendarbeiterin Alex in den Gärten. Drei andere Afghanen streichen mit Farbrollern die Fassade der Küche. Alle anderen pinseln im Saal Balkonlatten an – darunter ein Konfirmand, Reto Bianchis Kinder und eine junge Tanzlehrerin aus dem aargauischen Buchs. 

Am ersten Tag seien alle schüchtern gewesen, erzählt Bianchi, während er im Saal die Arbeit überwacht. Nun, drei Tage später, hätten sich Freundschaften gebildet und alle gingen locker miteinander um. Für den Jugendarbeiter ist das Lager eine Herzenssache. Vor acht Jahren, damals noch in Burgdorf tätig, organisierte er es zum ersten Mal, seither jeden Sommer. «Viele dieser Jugendlichen haben schreckliche Erfahrungen gemacht. In Hasliberg haben wir einfach eine gute Zeit. Immer erlebe ich hier so viel Schönes.»

Traumberuf gefunden
In der Pause kommen alle in den Saal, essen Schokoladenriegel, einige daddeln auf ihren Handys. Die drei Afghanen sind zum zweiten Mal dabei, alle besuchen sie die Kantonale Schule für Berufsbildung Aargau. Einer von ihnen, Ali, sagt, er liebe die Berge, sie erinnerten ihn an seine Heimat. Auf dem Hasliberg habe er eine Leidenschaft entdeckt. «Ich möchte Maler werden.» 

Ali sei nicht der Erste, der hier sein Berufsziel gefunden habe, sagt Beat Beutter, der sich dazugesetzt hat. Beutter war Berufsbildner für Maler, bevor er Leiter des CVJM Hasliberg wurde. Auch ihm liegt «Sozial im Sommer» am Herzen. «Die Jugendlichen leisten jeweils enorm viel. Letztes Jahr bauten sie den ganzen Treppenabgang neu.» Alle erhalten ein Arbeitszeugnis, später dient es bei der Jobsuche. 

Der Krieg ist weit weg 
Das Mittagessen gibt es an einem langen Tisch im Lagerhaus – eine bunte Truppe zwischen elf und 55 Jahren nimmt Platz. «Hat es in der Ukraine auch Berge?», fragt Michael aus dem Thurgau Bogdana. Sie nickt: «Natürlich!» Kurz nach Kriegsausbruch floh Bogdana mit ihrer Oma in die Schweiz. Ihre Mutter ist gestorben, und der Vater dient in der Armee. Später erzählt sie von ihm und schiesst mit einem imaginären Gewehr um sich. «Seit ich hier bin, denke ich nicht so oft daran.» 

Nach dem Essen wird das Gruppenbild gemacht. Die Stimmung ist ausgelassen, die Hinteren necken die Vorderen. Nach dem Shooting klettern sie aufs Trampolin, spielen Badminton oder Fussball, Ali übt mit Sara den Tanz vom Vorabend. Reto Bianchi schaut lächelnd zu.

Um zwei Uhr geht es mit der Arbeit weiter. Jetzt sind alle pünktlich im grossen Saal. Und bald klingt aus sämtlichen Boxen wieder Musik: Techno in der Küche. Afrobeat bei den Balkonlatten. Ukrainischer Pop im Garten