Hat sich die EKD auf die Seite der Politik geschlagen?
Sagen wir so: Für das, was ich da lese, braucht es keine Theologie. Da kann man genauso gut das Parteiprogramm von CDU oder SPD lesen. Die EKD versucht, ethisch zu rechtfertigen, was politisch ohnehin gerade passiert. Die kritische Funktion der Theologie ist abgeblendet.
Vielleicht ist sie einfach realistisch?
Oh, realistisch will ich auch bleiben, keine Frage. Aber es reicht doch nicht, Dilemmata zu beschreiben, die ja tatsächlich bestehen: Wir haben das Tötungsverbot und zugleich den Auftrag, unsere Nächsten vor Gewalt zu schützen. Die EKD zieht sich auf die Argumentation zurück, dass im Zweifel Gewalt gerechtfertigt ist, weil wir ja ohnehin in einer sündigen, erlösungsbedürftigen Welt leben. Und mit dieser Argumentationsfigur unterstützt sie am Ende sogar die atomare Abschreckung. Massenvernichtungswaffen seien ethisch unter keinen Umständen zu legitimieren und müssten geächtet werden, aber jetzt seien sie politisch eben «notwendig», so die EKD. Was für ein «Realismus» soll das sein?
Aber wir leben nun einmal in einer komplexen Welt, in der sich gerade viel verändert. Kann da nicht etwas sicherheitspolitisch nötig werden, das ethisch eigentlich falsch ist?
Die EKD beschreibt zwar diese Dilemmata und sagt, die Politik müsse darüber diskutieren. Doch ihre Aufgabe wäre es eigentlich, gerade in diesen komplexen Situationen der Politik ethische Orientierung zu bieten. Die Friedensdenkschrift erzählt zwar von der biblischen Vision von Gewaltfreiheit und Frieden, doch dieser bleibe eben ein Versprechen Gottes, das in unserer sündigen Welt nicht eingelöst werden könne. Damit macht es sich die Kirche zu einfach. Ihr Auftrag wäre es, daran zu arbeiten, wie sich die biblischen Visionen vom Frieden erfüllen können - weil sie doch diese Realität des angebrochenen Reich Gottes bekennt. Das wäre «realistisch».
Für Sie hat die EKD also eher eine Kriegsdenkschrift vorgelegt?
Ja. Es werden verschiedene Positionen abgeräumt, die in der evangelischen Kirche – gemeinsam mit den Geschwistern im ÖRK – schon selbstverständlich waren. Kriegsdienstverweigerung galt als das deutlichere Zeugnis des christlichen Glaubens. Anstatt zumindest den Versuch zu wagen, das «Radikale» und Widerständige des Evangeliums in die Politik einzubringen, sagt man von vorneherein: «Das geht alles nicht.»
Der gerechte Frieden ist ja noch immer relevant in der neuen Denkschrift. Er wird definiert durch Schutz vor Gewalt, Förderung von Freiheit, Abbau von Ungleichheit, Friedensfördernder Umgang mit Pluralität. Sind Sie mit der Definition einverstanden?
In der Ökumene ist es uns wichtig, diesen Begriff weit zu denken und wegzukommen von der Frage, ob Krieg legitimiert werden kann. Da geht es auch um Frieden in der Ökonomie, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, Frieden in kleineren Gemeinschaften, Frieden mit der Umwelt. Diese Dimension kommt nun bei der EKD nur am Rand vor. Die Friedensdenkschrift legt sich das Leitbild des gerechten Friedens jetzt eher so zurecht, damit es passt: Dem Schutz vor Gewalt mit Gewalt wird alles andere untergeordnet. Damit konterkariert sie aber gerade das gemeinsame Leitbild.
Gewalt allerdings nur als Ultima Ratio.
Deshalb ist die Lehre vom gerechten Krieg ja so «praktisch»: Krieg ist immer das letzte Mittel. Das Problem ist nur, dass man eigentlich nie weiss, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem alle gewaltfreien Mittel ausgeschöpft sind und ich zum Schutz meiner Nächsten selbst losschlagen darf. Dreht man die Perspektive um und denkt sich die russisch-orthodoxe Kirche als Absenderin der Friedensdenkschrift, so wäre der Krieg gerechtfertigt, um die Bedrohung durch die Nato abzuwehren. Mit der Lehre vom gerechten Krieg sind letztlich alle Kriege begründbar, inklusive der Kriege im Namen unserer eigenen Religion und Nation. Dafür hat sie immer schon hergehalten, diese Lehre, selbst bei der Ausrottung der Ureinwohner Lateinamerikas. Gerade das glaubten wir eigentlich überwunden zu haben.
Da würde die EKD aber ganz bestimmt nicht mitgehen. Die Denkschrift spricht ja auch von der grossen Friedenshoffnung.
Ja, aber das ist eben alles nur im Bereich der Eschatologie: Sie erfüllt sich dann irgendwann in einer ganz neuen Welt, auf deren Kommen wir keinen Einfluss haben. Aber das Tolle an der christlichen Hoffnung ist doch, dass dieses Eschaton, diese reale Hoffnung bereits in die Gegenwart hineinscheint. Durch Jesus Christus, der so gelebt hat, dass die fantastische Zukunftshoffnung, dass Gott alle Tränen abwischen und einen neuen Himmel und eine neue Erde machen wird, sichtbar und erlebbar wurde. Diese Hoffnung muss uns doch leiten im gegenwärtigen politischen Handeln. Das bedeutet auch, dass ich als Christ sage: «da mache ich nicht mit, wenn alle zu den Waffen greifen». Die Kirche muss doch Kirche sein und zeigen, dass die neue Welt schon begonnen hat und es anders geht, als die Politik uns weismachen will. Es ist die realpolitische Friedenslogik des Evangeliums, die wir einzubringen haben als Kirchen. Wenn eine Kirche dazu nicht bereit ist, sollte sie lieber schweigen.