Ich wollte gut singen. So wie Céline Dion. Sie war jene Sängerin, die mich in meinen Anfängen sehr beeindruckte und die ich nachzuahmen versuchte. Durch die Ausdruckskraft ihrer Stimme und das Pathos in ihren Interpretationen, das auf mich inzwischen eher kitschig wirkt, erkannte ich die Kraft, die Gesang einem Text verleihen kann. Ich begann auch eigene Lieder zu schreiben.
Als ich ins Gymnasium kam, war das Singen definitiv mein Ding geworden. Es folgten Jahre mit Unterricht in klassischem und Jazz-Gesang. Neben dem Studium war das Singen meine Hauptbeschäftigung. Ich sang und komponierte fast ständig. Ich entdeckte, dass dem Gesang etwas ganz Besonderes innewohnt. Nämlich die Möglichkeit, mich ganzheitlich auszudrücken, auch Unsagbares zu äussern, meine Gefühle rauszulassen und zu verarbeiten.
Ich spürte auf geheimnisvolle Weise eine Art Legitimierung meiner Gedanken, wenn ich sie singend ausdrückte. Schmerz etwa wurde greifbar und damit handhabbar. Beim Singen kann mir niemand widersprechen, niemand meine Gefühle in Abrede stellen.
Aus purer Freude
Mit dieser Erfahrung bin ich nicht allein. Durch mein Interesse am Gospel beschäftigte ich mich in späteren Jahren mit der Geschichte und der Musik der schwarzen Bevölkerung in den USA. Musik spielte in der Bürgerrechtsbewegung eine grosse Rolle. Protest- und Freiheitslieder halfen den Menschen, ihren kollektiven Gefühlen Ausdruck zu verleihen, und einten sie in ihrem erfolgreichen Kampf für Gerechtigkeit. Sie wurden gehört.
Singen ist für mich aber vor allem eine grosse Freude. Darum ermuntere ich andere auch immer wieder, einfach nur aus Freude zu singen. Singen können grundsätzlich fast alle Menschen.
Meinen Mann allerdings habe ich bis jetzt noch nicht überzeugen können. Dafür begleitet er mich auf dem Klavier. Und wir haben einen gemeinsamen Traum: eine Auszeit in den USA, um dort zu lernen, wie man richtig Gospel spielt und singt.