«Wenigstens die Kirchen sollten Brücken bauen»

Ökumene

Der ÖRK will Vertreter der russischen und der ukrainischen Kirchen an einen Tisch bringen. Exekutivausschuss-Präsident Heinrich Bedford-Strohm sagt, was er sich davon verspricht.

Wie schätzen Sie den Erfolg der bisherigen Vermittlungsbemühungen des Vatikans rund um den Ukraine-Krieg ein? Werden ÖRK und Vatikan in Zukunft ihre Vermittlungsbemühungen aufeinander abstimmen?

Heinrich Bedford-Strohm: Ich habe keinen Einblick in die bisherigen Vermittlungsbemühungen des Vatikan. Dass wir Papst Franziskus unsere Friedensinitiative vorgestellt und erläutert haben, hatte genau den Sinn, uns so früh wie möglich abzustimmen.

Der ÖRK möchte einen runden Tisch mit Vertretern der russisch-orthodoxen und der ukrainisch-orthodoxen Kirche organisieren. Spürt der ÖRK bei den beiden Kirchen ein Interesse an einer solchen Initiative?

Die Vorgespräche laufen. Ob sie zum Erfolg führen, ist noch offen.

Heinrich Bedford-Strohm

An der letztjährigen Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) wurde Heinrich Bedford-Strohm in den Exekutivausschuss gewählt. Er präsidiert das Gremium, das zwischen den jeweiligen Vollversammlungen das höchste Leitungsgremium des ÖRK ist. 1960 in Memmingen geboren, wuchs Heinrich Bedford-Strohm in einem Pfarrhaus auf. Zuerst begann er ein Jurastudium, wechselte aber bereits nach einem Jahr zu den Theologen. Er studierte danach in Erlangen, Heidelberg und Berkeley. Später war er Assistent 
am Lehrstuhl Systematische Theologie und Sozialethik in Heidelberg. Nach Doktorarbeit und Habilitation war Bedford-Strohm Professor in Giessen, Bamberg und Stellenbosch, Südafrika. Dazwischen wirkte er zweimal als Pfarrer an der Morizkirche in Coburg. Ende Oktober gibt er sein Amt als Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, das er seit 2011 innehatte, an seinen bereits gewählten Nachfolger Christian Kopp an. Von 2014 bis 2021 war Bedford-Strohm Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Herrscht bei solchen Gesprächen nicht immer ein Ungleichgewicht, solange die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche im Gegensatz zur Russisch-orthodoxen Kirche nicht Mitglied des ÖRK ist? Gibt es Bemühungen, der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche eine Mitgliedschaft zu ermöglichen? 

Die noch nicht entschiedene Frage der Mitgliedschaft hat uns nicht daran gehindert, die beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine zur Vollversammlung nach Karlsruhe einzuladen. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine hat einen Mitgliedschaftsantrag gestellt, der hoffentlich bald entschieden werden kann. Die Erklärung zu diesem Krieg, die die Vollversammlung verabschiedet hat, spricht von einer russischen Invasion und erklärt den Krieg für unmoralisch und illegal und kritisiert den Missbrauch religiöser Sprache zur Rechtfertigung des Krieges. Daraus lässt sich sicher nicht die Einschätzung ableiten, dass die Mitgliedschaft der russisch-orthodoxen Kirche im ÖRK eine zu ihren Gunsten einseitige Haltung zur Folge hätte. 

Was versprechen Sie sich von Gesprächen zwischen russischen und ukrainischen Kirchenvertretern in der aktuellen Lage?

Politisch und militärisch erscheint die Lage komplett zementiert. Russland und die Ukraine stehen sich unversöhnlich gegenüber. Da müssten doch wenigstens wir als Kirchen irgendwelche Brücken bauen können. Ob es gelingt, weiß ich nicht. Aber versuchen müssen wir es.

Welchen Beitrag können die beiden Kirchen leisten, um den Krieg zu überwinden?

Wir müssen Korridore der Gemeinsamkeit finden, die politisch noch nicht möglich sind und dann auf unsere jeweiligen Regierungen einwirken, um auch politisch Türen der Verständigung zu öffnen.

Experte warnt vor Propaganda

Skeptisch, ob die kirchendiplomatische Offensive des ÖRK Erfolg haben kann, ist Stefan Kube. Er ist Chefredaktor der Zeitschrift «Religion & Gesellschaft in Ost und West» und warnt davor, der russisch-orthodoxen Kirchenspitze eine internationale Bühne zu geben. «Wer mit ihr spricht, läuft Gefahr, sich instrumentalisieren zu lassen.» Seit Kriegsausbruch gebe es keinerlei Anzeichen, dass das Moskauer Patriarchat bereit sei, seine Position zu überdenken. «In allgemeinen Worten wird der Krieg verurteilt, aber verantwortlich dafür wird allein der Westen gemacht», sagt Kube. Er bestreitet nicht, dass es diese Opposition gibt. Allerdings suche der ÖRK den Dialog mit der Kirchenleitung, die den Kriegskurs von Präsident Wladimir Putin geschlossen mittrage.

Sie sagten nach dem Papstbesuch vom 23. März, es gebe in der russisch-orthodoxen Kirche viele Menschen, die nichts lieber wollten, als den Krieg zu beenden. Worauf stützen Sie diese Einschätzung? 

Die Einschätzung beruht auf Gesprächseindrücken, die ich vertraulich im Hintergrund geführt habe. Das Schlimme ist, dass sie komplett vertraulich bleiben müssen, weil sie sonst in Russland zu Repressionen führen würden. 

Sie sprachen auch von einer Scheu der russisch-orthodoxen Kirche, sich zu politischen Fragen zu äussern. Eher das Gegenteil scheint der Fall: Patriarch Kyrill hat sich bereits vor dem Krieg in antiwestlicher Rhetorik immer wieder politisch geäussert und später den Angriff auf die Ukraine politisch gerechtfertigt. Wie verhält sich der ÖRK zu solchen Äusserungen?

Auch solche Widersprüche müssen Gegenstand von Gesprächen sein.

Gibt es für den ÖRK rote Linien, die Mitgliedskirchen in ihrer politischen Positionierung und ihrem Verhältnis zum Krieg nicht überschreiten dürfen?

Das Bekenntnis zu Jesus Christus steht im tiefen Widerspruch zur Rechtfertigung von Angriffskriegen oder gar einem Heiligen Krieg. Das Problem bei der Anwendung solcher roten Linien sind die sich widersprechenden Interpretationen der Lage. Patriarch Kyrill etwa hat ausdrücklich erklärt, dass es nie einen Heiligen Krieg geben kann.

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