Wenn ich in diesen Tagen täglich im Mittelmeer schwimme, überlege ich mir oft, wie es wohl sein wird, das Meer, wenn ich erstmal an Bord der «Sea-Watch 4» bin. Immer noch so schön, so erfrischend und bewegt wie in diesen heißen Sommertagen hier an Land in Spanien? Oder doch eher undurchdringlich, Nichts am Horizont freigebend, fast unerträglich unendlich. Gefährlich.

Weit wie das Meer
Kurz vor dem Auslaufen der «Sea-Watch 4» schwimmt Constanze Broelemann im Meer und fragt sich, wie sich die Perspektive auf das Meer von Bord des Rettungsschiffes verändern wird.
Constanze Broelemann am Strand im spanischen Burrina kurz bevor die «Sea-Watch 4» zu ihrer ersten Rettungsmission ausläuft. (Foto: epd-bild/Thomas Lohnes)


Blog Seenotzien
Im August 2020 läuft das mit kirchlichen Spenden finanzierte Seenotrettungsschiff «Sea-Watch 4» zu seiner ersten Mission aus. Die «reformiert.»-Redaktorin Constanze Broelemann ist für reformiert.info und evangelisch.de an Bord und berichtet vom Schiff in ihrem Blog «Seenotizen».
«Bewegt euch noch soviel wie möglich», wurde uns gestern von einem Crew-Mitglied ans Herz gelegt. Denn unsere Bewegungsfreiheit wird an Bord des Rettungsschiffes noch mehr eingeschränkt sein als jetzt schon.
Derzeit können wir mit Schutzmasken noch unsere überhitzte Wohnung in Burriana Richtung Strand und Meer verlassen. Nehmen einen 30-minütigen Weg unter die Füße und denken: «Geniessen wir das, bald ist es vorbei.»
Am Strand sitzen die spanischen Familien, plaudern, spielen und schwimmen in diesem ungewöhlichen Sommer nach ihren Möglichkeiten. Holzpflöcke markieren die Liegeabstände am Strand, die Strandwacht patroulliert und die Masken nehmen einem manchmal die eh schon wenig erfrischende Luft zum Atmen. Und trotzdem: Das Meer ist immer ein Traum. Meiner jedefalls. Doch schon jetzt weiss ich, dass ich eine andere Seite von diesem unfassbar schönen, aber auch uneinschätzbarem Element kennenlernen werde.
Kirchliches Engagement
Die Idee eines kirchlichen Seenotrettungsschiffs im Mittelmeer geht auf den evangelischen Kirchentag in Dortmund 2019 zurück. Finanziert wurde es vom Bündnis «United4Rescue». Im Januar 2020 ersteigerte das Bündnis das Schiff für 1,3 Millionen Euro, darunter 1,1 Millionen Euro Spendengelder des Bündnisses, dem mittlerweile über 500 Organisationen und Unternehmen angehören.Die Evangelische Kirche Deutschland hatte zu Spenden für das Schiff aufgerufen, bei denen sich auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz und die Schweizer Bischofskonferenz beteiligten.
Das ehemalige Forschungsschiff war am 20. Februar in Kiel getauft worden. Nach den ursprünglichen Plänen sollte das Schiff schon zu Ostern in See stechen. Dann machten aber die Einschränkungen wegen der Corona-Epidemie dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung.
Die «Sea-Watch 4» kann etwa 300 Flüchtlinge an Bord unterbringen. Bei akuten Notfällen können es für kurze Zeit aber auch bis zu 900 sein. 26 feste und ehrenamtliche Mitarbeiter aus mehreren europäischen Ländern sind auf den jeweils vierwöchigen Einsätzen dabei. Es wird auf dem Schiff unter anderem einen Schutzbereich mit 24 Betten speziell für Frauen und Kinder geben und eine Krankenstation, die zwei Behandlungsplätze umfasst.
Auf meinem E-Book wird mir heute ein Text aus dem Markusevangelium, Kapitel 4, Verse 35 bis 41 angezeigt. Die «Stillung des Seesturms» - wie passend, denke ich. In der Erzählung fahren Jesus und seine Jünger auf den See Genezareth, als ein gewaltiger Sturm losbricht. Das Boot läuft mit Wasser voll und droht zu kentern. Die Jünger werden panisch. Und was macht Jesus? Der liegt an Bord auf einem Kissen und schläft.
Ist der wahnsinnig oder ist ihm sogar auf einmal alles egal? Die Jünger zerren so lange an ihm bis er auchwacht. Das tut er dann auch und gebietet dem Wind Einhalt, indem er wortgewaltig sagt: «Sei still! Schweig!» Sofort legte sich der Sturm und es wird ganz still, schreibt die Bibel. Fast überrascht fragt Jesus seine Jünger: «Warum habt ihr Angst? Habt ihr denn immer noch kein Vertauen zu mir?»
Gegen Piraterie und Terroranschlägen
Als Vorbereitung für die Mission der «Sea-Watch 4» haben wir Sicherheitsschuhe gekauft, die wir an Bord tragen müssen, alle möglichen Impfungen bekommen, die Telefonnummern unserer Angehörigen notiert und sogar ein «Security Awareness Certificate» online abgeschlossen. Das ist obligatorisch für alle Crew-Member.
Hier erfuhr ich von den Gefahren auf See. Von Piraterie, über Terroranschläge bis hin zu blinden Passagieren. Seit den Terroranschlägen vom September 2001 sind die Sicherheitsauflagen auf dem Meer nochmals verstärkt worden. Auch das Kennenlernen der Entführung des Kreuzfahrtschiffes «Achille Lauro» vom Oktober 1985 ist Teil der Übung. Ein wenig mulmig wurde mir schon beim Absolvieren dieses Zertifikates, das unsere Aufmerksamkeit für die Sicherheit an Bord schulen soll. Andereseits habe ich das Gefühl, dass die Crew alles Mögliche macht, um das Gefahrenriskiko zu mindern. Der Rest ist eben Vertrauen.
Sea Watch
Sea Watch e.V. ist eine Non-Profit-Organisation, die zivile Such- und Rettungseinsätze im europäischen Mittelmeer durchführt. Der Verein fordert und forciert Rettung von Menschen durch staatliche europäische Institutionen. Sea Watch will sichere und legale Fluchtwege (#SafePassage) und Bewegungsfreiheit in offenen europäischen Gesellschaften, die sich zur Solidarität bekennen. Finanziert wird die Arbeit des Vereins ausschliesslich durch Spenden.